Demokratie, idiotensicher

Seit zwei Monaten führen Bürger und Abgeordnete via abgeordnetenwatch.de einen virtuellen Dialog. Beide Seiten ziehen eine erste Bilanz

Das ist bundesweit einmalig: Auf der Internetplattform www.abgeordnetenwatch.de des Vereins für „Mehr Demokratie“ diskutieren Hamburger Wähler und Parlamentarier seit dem 8. Dezember 2004 miteinander. Seit gestern können sich die Bürger dort nun auch über die berufliche Qualifikation der Bürgerschaftsabgeordneten sowie deren Beruf und Arbeitgeber informieren.

Mittlerweile stehen 210 Bürgerfragen 149 Politikerantworten gegenüber. Für 31 der 41 SPD-Abgeordneten interessierte sich allerdings noch niemand, bei der CDU-Regierungsfraktion sind 24 von 63 bislang ungefragt. „Wer mehr Macht hat, bekommt auch mehr Aufmerksamkeit, steht aber auch mehr in der Pflicht,“ interpretiert der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Neumann dieses Zwischenergebnis – er hat alle zwölf an ihn gerichteten Anfragen beantwortet – und zwar höchstselbst. Zugleich sei es für die Opposition eine weitere Chance, den eigenen Standpunkt klar zu machen. Die Bedienung ist „dank der Anleitung idiotensicher“, weiß Neumann. Bei einer ‚Brieffreundschaft‘ bleibt es dabei nicht immer: Drei Mailschreiber hat er schon zum Tee ins Rathaus eingeladen.

„Die Hemmschwelle für die Bürger ist gering,“ erklärt der ehrenamtlich arbeitende Initiator Gregor Hackmack die Resonanz. „Das Angebot ist als erste Kontaktaufnahme gedacht, es ist ein Türöffner und kein Ersatz für direkte Kommunikation.“ Der Student ist einer von sechs Moderatoren, die über einen respektvollen Umgangston wachen. „Beschimpfungen gab es noch nicht.“

Ein Drittel der Anfragen an die CDU blieb bislang unbeantwortet, ein Sechstel bei der SPD und nur ein Achtel bei der GAL. CDU-Fraktionschef Bernd Reinert, mit 28 Antworten der gefragteste Politiker, erklärt den Rückstand, auf den ihn auch manche Bürger hinweisen, mit Zeitmangel. Zudem erkenne er bereits „viele Stammkunden“: „Die große Massenbewegung wird es wohl nicht.“

Enttäuscht ist der Harburger Polizist Peter Meyer, der selbst rege mitdiskutiert: „Auf vernünftige Fragen folgen oft dumme oder gar keine Antworten.“ Vermutlich seien einige Politiker „genervt“. Der Feuerwehrbeamte Jan Ole Unger wiederum prangert „Ignoranz besonders auf Seiten der CDU-Politiker“ an.

Ein Blick in die Diskussionsforen zeigt: Manche Fragen werden von denselben Leuten immer wieder gestellt, zum Beispiel: „Ist es richtig, dass sich die Bürgerschaft eine Diätenerhöhung von 1,4 Prozent genehmigt hat?“ Einige Politiker reagieren darauf mit Standardtextbausteinen – wie etwa Brigitta Martens (CDU), die die Seite „nicht für das geeignete Medium zum persönlichen Kontakt zwischen Bürgern und Abgeordneten“ hält. Überwiegend prägen jedoch sehr persönliche Anliegen der Bürger, denen sachbezogene Statements der Parlamentarier folgen, den virtuellen Meinungsaustausch. An der Glaubwürdigkeit des Gros der Teilnehmer zweifelt Hackmack nicht, denn „hinter den Fragenden stehen oft sehr engagierte Menschen“.

CDU-Mann Christoph Ahlhaus kritisiert die Anonymität des Forums. Den Politikern sei ja nur der Name des Fragestellers bekannt – das genügt Ahlhaus nicht: „Eine Seite versteckt sich bei dem Dialog.“ Er selbst hat keine seiner elf Mails beantwortet, denn er findet „diese Kommunikationsschiene überflüssig“.

Gegen das „Versteckspiel“ schlägt Frager Unger „User-Profile“ der jeweiligen Bürger vor. Im Übrigen müsse das Projekt noch mehr in die Öffentlichkeit getragen werden: „Dann nehmen wir richtig Einfluss auf die nächste Wahl.“ Anja Humburg