Alles, bloß nicht Ahmadinedschad

IRAN Nach jahrelanger Wahlabstinenz brennen die Jugendlichen im Iran nun darauf, das Ende der Amtszeit Mahmud Ahmadinedschads und einen politischen Wechsel herbeizuführen

■ Am Freitag, 12. Juni, sind Präsidentschaftswahlen.

■ Rund 46 Millionen IranerInnen sind wahlberechtigt.

■ Der Wächterrat hat vier Kandidaten zugelassen: Präsident Mahmud Ahmadinedschad, Exministerpräsident Mir Hossein Mussawi, Exrevolutionswächterchef Mohsen Resai und den früheren Parlamentspräsidenten Mehdi Karrubi.

■ Im Fall einer hohen Wahlbeteiligung sinken die Chancen Ahmadinedschads, wiedergewählt zu werden

VON ALESSANDRO TOPA

Die Jahre der Wahlboykotte sind vorüber. Zwei Drittel der 70-Millionen-Bevölkerung des Iran sind unter 30 – und wer sich dieser Tage per Telefon und Mail mit Bekannten in Teheran austauscht, gewinnt den Eindruck, dass viele junge IranerInnen das Ende ihrer politischen Abstinenz vorbereiten – ein möglicherweise entscheidender Faktor bei der Präsidentschaftswahl am 12. Juni.

Hatten beim Triumph des Reformers Muhammad Chatami 1997 noch 80 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, so ging die Wahlbeteiligung seither stetig zurück, um bei den Parlamentswahlen im März 2008 in Teheran gar unter 30 Prozent zu fallen.

Insbesondere die nach der Revolution von 1979 geborenen Jahrgänge zeigten noch im vergangenen Jahr wenig politisches Interesse. Wo Ende der 90er zur Blütezeit der Reformbewegung ständig über das Wesen der Demokratie debattiert und die Tagespolitik kommentiert wurde, dominierte zuletzt der Rückzug ins Private. Lediglich in der Aufklärungsarbeit tausender mutiger Frauen, die sich landesweit im Rahmen der Kampagne „Eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung“ engagierten, schien der Geist des Reformismus lebendig.

„Keiner will denselben Fehler wie 2005 machen“, schreibt jetzt der Underground-Rockmusiker und IT-Experte Milad, 28. Dass vor vier Jahren Mahmud Ahmadinedschad gewählt wurde, lag auch an der Wahlbeteiligung von nur 59 Prozent. Um seine Wiederwahl zu verhindern, ruft inzwischen sogar die Studentenorganisation „Tahkime Wahdat“ („Festigung der Einheit“) dazu auf, zur Wahl zu gehen. In den letzten Jahren hatte sie stets den Boykott gefordert – schließlich habe die Chatami-Ära nur die Machtlosigkeit der demokratisch gewählten Staatsorgane im Iran demonstriert.

Auch Milad gehen mögliche Veränderungen nicht weit genug, doch er denkt pragmatisch: „Als Musiker wäre es mir natürlich wichtig, öffentlich auftreten zu können. Aber mir selbst liegt die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ehrlich gesagt weit mehr am Herzen.“

„Wenn man jemanden fragt, ob er wählen geht, wird das unter den 20 bis 30-Jährigen fast als Affront aufgefasst“, berichtet die Grafikerin Tara, 24. Begeistert beschreibt sie, mit welchem Enthusiasmus die Wahlkampfhelfer Mir Hossein Mussawis auf den Plätzen der Hauptstadt mit Flyern und Gimmicks für eine Art grüne Revolution werben. „Die haben alle grüne Klamotten an, tragen grüne Bänder ums Handgelenk oder die Stirn und machen Stimmung für Mussawi.“ Sogar dessen brandneue Tageszeitung heißt Kalemeh Sabz, „Grünes Wort“.

„Keiner will denselben Fehler wie bei der Wahl 2005 machen“

MILAD, 28, UNDERGROUND- ROCKMUSIKER UND IT-EXPERTE

Tara ist überzeugt, dass der Expremierminister, der gemeinsam mit seiner Frau auftritt, von den meisten Jugendlichen gewählt werden wird. „Die über 30-Jährigen werden ewig von der Chatami-Zeit enttäuscht bleiben, aber meine Generation steht auf dem Standpunkt, dass ein erfahrener Mann wie Mussawi, der obendrein Architekt und Maler ist, weit mehr zum Fortschritt Irans beitragen kann als Herr Ahmadinedschad.“ Konkrete Forderungen hat Tara nicht. „Hier ist doch in den letzten Jahren alles schlimmer geworden: die Zensur, die Sittenpolizei, die Wirtschaft, die Beziehungen zum Ausland. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Wichtig ist, dass so viele wie möglich wählen, um die Wahrscheinlichkeit des Wahlbetrugs zu minimieren.“

Buchhändler Reza, 37, gehört zu der Generation ewig enttäuschter Anhänger Chatamis, die Tara angesprochen hat. Ein scharfer Beobachter ist er dennoch geblieben: „Die entscheidenden Themen, die die jungen Leute bewegen, sind die Meinungsfreiheit und die Wirtschaft. Sowohl Karrubi als auch Mussawi arbeiten mit jungen Kampagnenleitern zusammen, denen es hervorragend gelungen ist, ihre Wählerpotenziale zu mobilisieren“, analysiert er. Auch nach Rezas Einschätzung hat Mussawi gute Chancen, obwohl der linksliberale Kleriker Mehdi Karrubi vor allem von älteren Reformern und vielen Intellektuellen geschätzt würde. „Aber Mussawi hat die Unterstützung Chatamis. Er hat eine eloquente Frau, die Universitätsprofessorin und Bildhauerin ist, und kommt auch bei der Arbeiterklasse mit seinem Image als unkorrumpierbarer Krisenmanager glaubwürdig rüber.“

Reza hält wenig von dem „Hype“, der um die Wahlen gemacht wird. Obwohl er die Angst vor einer zweiten Amtsperiode Ahmadinedschads teilt, wird er auch diesmal nicht wählen gehen. „Ein Messer schneidet sich nicht in den Griff“, zitiert er zum Abschied ein persisches Sprichwort. Das Messer, das ist Mussawi oder jeder Kandidat, der vom Wächterrat zugelassen wird; der Griff hingegen das System.