Fluthilfe mit Nebenwirkungen

Joschka Fischer will sich das Ministerium für Entwicklungshilfe einverleiben, doch das Auswärtige Amt ist dafür nicht gerüstet. Es drohen alte Antworten auf neue Probleme

Sind nicht gerade die Strukturen des BMZ dafür geeignet, die Paternalismusfalle zu umgehen?

Mit etwas Zeitverzögerung hat die Hilfsbereitschaft für die von der Flutkatastrophe betroffenen Länder Asiens eine neue lebhafte Debatte über den Stellenwert von Entwicklungszusammenarbeit in der Außenpolitik der Bundesregierung ausgelöst. Diese Diskussion wird medienwirksam durch Spekulationen über den Appetit von Außenminister Fischer angeheizt, sich das Entwicklungsministerium BMZ einverleiben zu wollen.

Nun tut sich die entwicklungspolitische Gemeinde keinen Gefallen, wenn sie in dieser neuen Debatte stereotyp auf der Eigenständigkeit ihres Politikfeldes besteht. Die Welt hat sich seit der Gründung des BMZ dramatisch verändert. Bemerkenswert an der Flutkatastrophe ist doch nicht nur die ausgelöste Welle der Hilfsbereitschaft. Bemerkenswert ist vor allem, dass Länder wie Thailand und Indien bewiesen haben, dass sie mittlerweile über die Fähigkeiten und Kapazitäten verfügen, einen großen Teil der Folgen einer solchen Katastrophe aus eigener Kraft zu bewältigen und mit dem spezialisierten Hilfspersonal aus dem Ausland recht professionell zu kooperieren. Die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien war in beiden Ländern schon nach wenigen Tagen gebannt. Und wenn Thailand dezidiert sagt, dass es vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe kein Interesse an einem Schuldenerlass hat und stattdessen auf eine Öffnung der Märkte der Industrieländer für seine Produkte und eine Wiederaufnahme des Tourismus drängt, dann demonstriert dieses Land nicht nur Selbstbewusstsein. Es zeigt auch, dass einige der „klassischen“ Antworten des entwicklungspolitischen Diskurses den Interessen von Ländern wie Südkorea, Chile oder Thailand, die ausländische Kredite erfolgreich für die eigene Entwicklung nutzen und deshalb großen Wert auf die Pflege ihrer Bonität legen, nicht gerecht werden.

Die Flutkatastrophe hat die Bereitschaft, in der einen Welt Solidarität zu leben, zumindest zeitweise gestärkt. Das kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es würde aber die entwicklungspolitische Diskussion um einige Jahre zurückwerfen, wenn diese Solidarität in einem neuen Paternalismus gegenüber der so genannten Dritten Welt münden würde. Zu Recht stellen erfahrene Nichtregierungsorganisationen Fragen an die populäre Partnerschaftsinitiative des Bundeskanzlers: Sind die lokalen und regionalen Administrationen in den am meisten betroffenen Gebieten für die nächsten ein bis zwei Jahre nicht bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten damit gefordert, ihre Wiederaufbaumaßnahmen zu koordinieren? Wie soll man da noch Partnerschaftsgesuchen von Bürgermeistern und Landräten aus aller Welt gerecht werden?

Einige Wochen vor der Katastrophe hat sich das BMZ öffentlich zu einer neuen „Ankerländerstrategie“ bekannt. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass es in einem Land wie China wenig Sinn macht, weiterhin klassische Armutsbekämpfung mit Projekten in entlegenen Provinzen zu betreiben. Über ihre Makropolitik, die etwa die Einkommensverteilung zwischen den boomenden Städten und entlegenen Provinzen beeinflusst, kann die chinesische Regierung das Tempo der Armutsreduzierung selbst beeinflussen. Klassische EZ-Armuts-Projekte sind da vielfach nicht mal der Tropfen auf den „heißen Stein“.

zeitweise gestärkt

Schwellenländer wie Brasilien oder Indien sind – das haben sie gerade in der WTO demonstriert – keine „underdogs“ mehr. Mit ihnen kann und soll auf gleicher Augenhöhe verhandelt werden. Und wenn die EU und Deutschland Brasilien mit Blick auf die Exportkapazitäten des Landes im Bereich Zucker und Rindfleisch bedeutende milliardenschwere Zugeständnisse machen, können und sollten wir im Gegenzug Kompromissbereitschaft in anderen Bereichen verlangen, beispielsweise beim Schutz des Regenwaldes.

Ein weiteres Beispiel zeigt anschaulich, wie schwierig es geworden ist, außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitische Interessen gegeneinander auszuspielen. Die Arbeitsbedingungen in Teilen der chinesischen Exportindustrie werden zunehmend Gegenstand öffentlicher Kritik. Es ist in der Tat nicht einzusehen, dass China auf Kosten seiner Konkurrenten in Deutschland mit frühkapitalistischen Arbeitszeiten, Hungerlöhnen und Kinderarbeit Marktanteile gewinnt und seine üppigen Devisenreserven weiter hochfährt. Diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben heißt nicht nur, in der globalisierten Welt für etwas mehr Fairness zu sorgen, sondern ist auch ein wirksamerer Beitrag zur Armutsbekämpfung in China als noch so viele gut gemeinte Entwicklungsprojekte. Wenn also Renate Künast in China für akzeptable Arbeitsbedingungen in der Spielwarenindustrie wirbt und dafür, dass exportierte Nahrungsmittel zu Bedingungen angebaut und verarbeitet werden, die europäischen Standards entsprechen, dann ist dies nicht nur aktiver Verbraucherschutz hier wie dort, sondern auch Entwicklungspolitik par excellence.

Traditionelle Entwicklungspolitiker, auf diese Punkte angesprochen, verweisen gerne auf Subsahara-Afrika. Dort habe die klassische Entwicklungspolitik doch mehr Berechtigung denn je. Aber auch da sind große Fragezeichen erlaubt. Einem Land wie Nigeria, das von dem gestiegenen Ölpreis – den auch die deutschen Verbraucher zahlen – mit vielen zusätzlichen Milliarden an Dollar pro Jahr profitiert, ist mit klassischen Projekten vermutlich wenig geholfen. Das Land braucht in erster Linie politische Unterstützung für seine sehr positive panafrikanische Rolle, in zweiter Linie Kredite und Eigenkapital für den sich dynamisch entwickelnden Privatsektor und nicht zuletzt intelligenten Beistand bei der notwendigen „Moralisierung“ öffentlicher Institutionen und privater Geschäftstätigkeit. Der Mangel an einem Minimum von staatsbürgerlichem Common Sense stellt nun mal das größte Entwicklungshindernis des Landes dar, wobei es hoffnungsvolle Ansätze der Besserung gibt.

Dennoch ist dieser Diskussionsbeitrag kein Plädoyer für eine Eingliederung des BMZ in das Auswärtige Amt. Ad hoc werden derzeit im Kanzleramt und Hause Fischer im Namen der Fluthilfe Parallelstrukturen der internationalen Kooperation aufgebaut – ein Moment des Innehaltens ist hier wünschenswert. Kann es nicht sein, dass Deutschland mit dem BMZ und seinen Durchführungsorganisationen bereits bewährte Institutionen zur Unterstützung des Wiederaufbaus in den von der Flut betroffenen Ländern hat? Und sind nicht gerade diese Strukturen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung besonders dafür geeignet, die „Partnerschaftseuphorie“ in Bahnen zu lenken, die an der Paternalismusfalle vorbeiführen? Mittel- und langfristig aber gilt, dass das BMZ seine Existenzberechtigung dadurch immer wieder beweisen muss, dass es intelligente und innovative Beiträge und Ideen zur Lösung von Problemen in einer globalisierten Welt beiträgt – unabhängig davon, ob diese nun primär entwicklungs- oder außenpolitischer Natur sind.

Die Flutkatastrophe hat die Bereitschaft, in der einen Welt Solidarität zu leben,

ROGER PELTZER