Nigerias schwarze Wirtschaft

EINIGUNG Shell zahlt, die Kritiker sind besänftigt. Dennoch: Das Niger-Delta bleibt eine Region, in der mafiöse Ölgeschäfte dominieren

■  Nigeria ist das bevölkerungsreichste sowie öl- und gasreichste Land in Afrika südlich der Sahara. Ölexporte machen 95 Prozent der Exporteinnahmen und 85 Prozent der Staatseinnahmen aus. Nachgewiesene Reserven liegen bei 36 Milliarden Barrel, die Förderkapazität bei rund 2,7 Millionen Barrel am Tag. Hauptabnehmer sind die USA. Seit Beginn der Förderung 1956 verdiente Nigeria am Öl schätzungsweise 300 Milliarden Dollar. Die wichtigsten Förderkonzerne in Partnerschaft mit Nigerias Staat sind Shell, Chevron, ExxonMobil, Total und Eni/Agip.

■ Die Ölgebiete sind Kriegsgebiet. Fast alle Ölfelder Nigerias liegen im sumpfigen Delta des Niger. Dass die Bewohner dieser Gebiete von den Ölreichtümern nicht profitieren, sondern unter den Folgen der Förderung leiden, ist Grund für Streit in Nigeria seit der Unabhängigkeit 1960. Von 1967 bis 1970 spaltete sich Nigerias Südosten inklusive Niger-Delta kurzzeitig unter dem Namen „Biafra“ ab, 1993 begannen friedliche Proteste gegen Shell als Verursacher von Umweltschäden, seit 1999 gibt es bewaffnete Rebellengruppen. Sie richten sich auch gegen die als korrupt empfundenen lokalen Politiker und traditionellen Führer. Die Ausbreitung von Ölkriegen hat Nigerias Ölförderung von 2,2 auf 1,4 Millionen Barrel am Tag gesenkt. DJ

VON DOMINIC JOHNSON, MARC ENGELHARDT
UND HAKEEM JIMO (OLOIBIRI)

Es ist ein später Sieg. Nach 13 Jahren juristischen Tauziehens in den USA zahlt der britisch-niederländische Ölmulti Shell 15,5 Millionen US-Dollar an die Hinterbliebenen des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa und dessen Mitstreiter. Die außergerichtliche Einigung, die am Montag in New York verkündet wurde, hinterlässt alle Seiten als Gewinner: Shell ist juristisch reingewaschen, die Kläger erfahren finanzielle Genugtuung und Nigerias Regierung kann endlich neue Ölinvestoren anwerben.

Das Verfahren „Wiva vs. Shell“ geht zurück auf den berüchtigtsten Justizmord in Nigerias düsterer Geschichte. Am 10. November 1995 wurde der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht weiteren Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung Mosop (Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes) gehenkt. Die Leichen wurden mit Säure übergossen und in einem Massengrab verscharrt. Mosop hatte friedliche Proteste gegen die verheerenden ökologischen Folgen der Shell-Ölförderung im Siedlungsgebiet der Ogoni angeführt, die gewaltsam unterdrückt wurden. Ihr Führer Saro-Wiwa, bereits als Schriftsteller bekannt, wurde damit Leitfigur des gewaltfreien Widerstandes gegen Nigerias Militärherrschaft.

„Shell hat tief ins Herz der Ogoni gegraben“, hatte Saro-Wiwa 1990 bei der Gründung von Mosop gesagt, und nach seiner Hinrichtung reichte sein Sohn Ken Wiwa Klage gegen Shell ein: „Sie waren nicht die Henker, aber ihre Fingerabdrücke sind überall zu sehen.“ Um Millionengewinne zu sichern, habe Shell sich enger Verbindungen zur Militärdiktatur bedient und Angriffe auf mutmaßlich rebellische Dörfer befohlen.

Shell wies beharrlich alle Vorwürfe zurück, und im Laufe der Jahre entwickelte sich ein undurchdringliches Justizgeflecht. Erst am 3. Juni wurde die Klage wegen direkter Mitverantwortung Shells an Saro-Wiwas Tod vom New Yorker Bezirksgericht ausgesetzt, während eine andere Klage gegen Shells nigerianische Tochter wegen Mitverantwortung an Menschenrechtsverletzungen erneut zugelassen wurde. Der jetzt erzielte Vergleich beendet beide Verfahren, „um die Unsicherheiten, Lasten und Kosten weiterer andauernder Verfahren zu eliminieren“, wie es in der Vergleichsschrift heißt.

„Mein Vater wäre glücklich mit dem Ergebnis“, sagte Wiwa, der in London lebt, aber inzwischen als Sonderberater von Nigerias zivilem Präsidenten Umaru Yar’Adua für mehr Entwicklung im Delta eintritt. Umweltaktivist Nnimo Bassey, der mit den ermordeten „Ogoni Neun“ gestritten hatte, ist ebenfalls zufrieden: „Der Vergleich zeigt eindeutig, dass Shell schuldig ist. Shell zahlt zwar nur eine kleine Summe, aber der Vergleich ist eine Ouvertüre für das, was Shell und die anderen Öl-Multis noch erwartet!“

Die Ogoni-Aktivisten sind offenbar wieder versöhnt mit Nigerias Staat. Der 2007 gewählte Präsident Yar’Adua hat nicht nur Ken Wiwa als Berater eingebunden. Saro-Wiwas Nachfolger als Mosop-Chef, Ledum Mitee, wurde Chef einer Regierungskommission zur Zukunft des Niger-Deltas. Ihr Abschlussbericht Ende letzten Jahres empfiehlt, 25 statt wie bisher 13 Prozent der Öleinnahmen in den Fördergebieten zu belassen, Ölfirmen eine Versicherungspflicht gegen Umweltschäden aufzuerlegen und kostenlose Schulbildung einzuführen.

Im April 2008 entzog Nigerias Regierung Shell die Lizenz zur Ausbeutung der Ölfelder im Ogoni-Land. Die Förderung war ohnehin längst eingestellt; nun muss auch ein neues Bieterverfahren beginnen. Nigerias Regierung will alle Joint-Venture-Verträge mit ausländischen Ölkonzernen neu aushandeln, mit höheren Anteilen für die nigerianische Seite und einer Verpflichtung zur Nutzung lokaler Zulieferer in den Fördergebieten.

„Gesiegt haben wir erst, wenn wir nachhaltige Entwicklung in ganz Nigeria haben, nicht nur in Ogoniland“, sagt Mosop-Chef Mitee. In diesem Reformelan sind Gerichtsverfahren gegen Ölinvestoren nicht mehr nützlich. Die Ogoni-Protestler von einst sind Teil des Establishments geworden, und vor Ort haben radikalere Gruppen den friedlichen Protest in bewaffneten Kampf verwandelt. Kein Wunder: Nigeria verdient Milliarden am Erdölexport, aber im Niger-Delta herrschen Elend und Gewalt.

„Uns hat das Öl nichts gebracht“

In Oloibiri, wo 1956 Shell die allerste Ölquelle Nigerias bohrte, endet die Teerstraße am Dorfanfang. Von hier geht es unbefestigt weiter durch den Matsch. Bis zum Haus des Dorfältesten Sunday Foster Inengite-Ikpesu muss man von Pfütze zu Pfütze springen. „Oloibiri Well No. 1, drilled June 1956, 12.000 Feet“ steht auf einem rostigen Blechschild im Gras. Hier begann vor 53 Jahren Nigerias Ölabenteuer.

„Uns hat das Öl nichts gebracht“, sagt der 72-jährige Dorfälteste. „Die Grundschule wurde vor dem Ölboom gebaut, die Sekundärstufe danach. Beide sind stark renovierungsbedürftig. Das Krankenhaus ist seit einigen Jahren verlassen. Die einzige Straße gab es auch schon vor dem Öl. Einen Wasserturm haben wir, aber noch kein Wasser. Strom gibt es gar nicht.“

Die Kläger erfahren finanzielle Genugtuung, und Nigerias Regierung kann neue Ölinvestoren anwerben

In seiner Kindheit sah es anders aus. Früher war Oloibiri der älteste und wichtigste Ort in der Region. Es gab große Märkte. Oloibiri war Stützpunkt für Missionare und die Regionalregierung. Und dann entdeckte man sogar Erdöl. Aber Anfang der 70er-Jahre und viele Ölquellen weiter war Schluss. Oloibiri fiel wieder in die Armut zurück, ohne dass von seinem Ölreichtum etwas hängengeblieben wäre.

„Früher habe ich es nicht so gespürt, aber heute bin ich sehr wütend“, sagt der alte Sunday Foster, ein drahtiger, freundlicher Mann mit grauem Haar. „Die Jungen wollen kämpfen und sie sind bereit, für die gute Sache zu sterben“, warnt er. Wenn er könnte, würde er auch, aber er sei zu alt. Er setzt jetzt auf Aufklärung. „Damals wussten wir nicht, was geschieht, wir waren ignorant. Aber heute gehen fast alle zur Schule. Ich sage meinen Kindern: Lasst das nicht wieder geschehen.“

Die einzige Wirtschaft, die hier boomt, ist krimineller Natur. Wenn die Nacht hereinbricht, sind auf den zahlreichen Wasserwegen des Niger-Deltas Barken unterwegs mit Öl, das illegal aus Pipelines abgezapft wurde und in größeren Häfen auf Tanker umgeladen wird. Die Gewinne schmieren Rebellengruppen wie die „Bewegung zur Emanzipation des Niger-Deltas“ (MEND), aber auch lokale Politiker ein Grund dafür, dass sich Gesetzlosigkeit ausbreitet. Kidnapping ausländischer Ölangestellter, Schutzgelderpressung von Ölfirmen und die Vermietung von Schlägertrupps an Politiker sind weitere Einkommensquellen des mafiösen Sumpfs im Niger-Delta. Dass die Region unterentwickelt ist, kommt den Hintermännern gelegen: je größer die Not, desto größer die Unterstützung für die selbsternannten Wohltäter, die die Region hat.

„Allein mit den illegalen Ölexporten machen die Syndikate 60 Millionen am Tag“, sagt ein Insider. Nigeria droht dadurch der Staatsbankrott: Wegen Sabotageakten der MEND und des Rückzugs von Investoren und Betreibern ist die tägliche Ölförderung von 2,2 Millionen Barrel, wie es die Haushaltsplanung 2009 vorsieht, auf derzeit 1,38 Millionen gefallen. Seit dem Beginn der Kämpfe im Ölgebiet hat Nigerias Staat nach Regierungsschätzungen 20,7 Milliarden Dollar Öleinnahmen verloren.

Seit Mitte Mai versuchen mehr als 3.000 Soldaten in der größten Militäroperation seit Jahren, die Rebellen und Schmuggler mit Kriegsschiffen, und Kampfhubschraubern in die Schranken zu weisen. Zivilisten müssen das Leid tragen, wie meist in Nigeria. Hunderte wurden getötet, Zehntausende harren im Busch aus. Im Gegenzug haben MEND-Kämpfer fünf große Exportpipelines gesprengt. In der Nacht zum Dientag lief ein Ultimatum an die Ölfirmen aus, das Niger-Delta zu verlassen.