Astronauten-WG im All

Versuchslabor jenseits der Erdorbits: Das Metropolis zeigt den 1965-er Film „Raumkreuzer Hydra“, der die Präsentation des Bandes „Heimat Weltall“ von Hans-Arthur Marsiske rahmt

Multikulti in der Raumkapsel. Und Geld gibt es auch nicht

von Volker Hummel

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts war Raumfahrt noch sexy. Sieht man sich heute eine SF-Operette wie den italienischen Film Raumkreuzer Hydra von 1965 an, der jetzt im Metropolis läuft, fallen einem vor allem die bunten Kostüme und Kulissen und die Lust auf Sex mit Wesen von fremden Planeten auf. Nicht Geist und Verstand sind hier die treibenden Kräfte zum Aufbruch ins All, sondern Eros und Sinnlichkeit. Doch so hanebüchen der Plot um ein auf der Erde notgelandetes Raumschiff ist, dessen Besatzung einige Menschen ins All entführt, so ansteckend ist auch 40 Jahre später das Vergnügen, das Frisuren, Farben und im Vakuum schwebende Körper bereiten.

Dass der Wissenschaftsautor Hans-Arthur Marsiske ausgerechnet eine solche Trash-Oper vorführt, um sein neues Buch Heimat Weltall vorzustellen, macht durchaus Sinn. Denn das Bändchen, in dem es vordergründig um eine Bestandsaufnahme des technischen und politischen Planungshorizonts der internationalen Raumfahrt geht, will das Weltall wieder als einen Ort etablieren, an dem nicht nur verwertbare Fakten auf die Menschheit warten, sondern neue Erfahrungen, die das Bild vom Menschen und seiner Gesellschaft verändern könnten.

Dass die Raumfahrt in der Imagination der Öffentlichkeit derzeit kaum eine Rolle spielt, hat Marsiske zufolge vor allem mit politischen Entscheidungen zu tun: Seit die Amerikaner mit der Mondlandung 1969 den Kalten Krieg im All gewonnen haben, hat es keine weiteren großen bemannten Missionen gegeben. Da ein Kräftemessen im All keine Option mehr war, schrumpften die Etats der Raumfahrtsbehörden. Und da langfristige und damit teure Weltraumforschung oft keinen klaren Verwertungsaspekt hat, spielt sie in der Politik kaum eine Rolle. „Für die Erde ins All“ lautet das Zauberwort der deutschen Regierung, womit gemeint ist, dass nur solche Forschung finanziert wird, deren Ergebnisse sich zur Lösung konkreter Erdenprobleme einsetzen lassen.

„Wohin soll die Raumfahrt führen?“, fragt Marsike denn auch im Untertitel seines Buches. Soll es weiterhin um die Struktur von Proteinkristallen, um den Ablauf von Verbrennungsvorgängen und das Verhalten von Lebewesen in der Schwerelosigkeit gehen? Immerhin versprechen sich die Wissenschaftler, die etwa an Bord der Space Shuttles oder der Internationalen Raumstation forschen, Erkenntnisse, die zu besseren Verbrennungsmotoren für Autos und Flugzeugtriebwerke führen.

Doch warten jenseits des Erdorbits nicht ganz andere Entdeckungen, die Verbrennungsmotoren überflüssig machen? Verbunden mit dieser Frage ist eine Hoffnung, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, nämlich dass Raumfahrt nicht den Verwertungsinteressen des kapitalistischen Wirtschaftssystems untergeordnet sein wird, sondern Alternativen aufzeigen kann. Die spannendsten Passagen in Heimat Weltall befassen sich mit Modellen neuer kollektiver Organisationsformen, wie sie etwa an Bord der Internationalen Raumstation erprobt werden. Anders als die aus militärischer Konkurrenz hervorgegangene Apollo-Mission ist die Raumstation ein internationales Gemeinschaftsprojekt, das auf Kooperation zwischen Staaten beruht. Die Raumstation selbst lässt sich als Experimentierfeld für neue kollektive und hierarchische Strukturen begreifen, in dem die Astronauten lernen müssen, mit großen kulturellen Unterschieden umzugehen. Interessant ist auch der Hinweis Marsiskes, dass sich zwischen den an der Internationalen Raumstation beteiligten Staaten ein so genanntes Barter-System etabliert hat, bezahlt wird untereinander nicht in Geldern, sondern in Materialien und Nutzungszeiten der Forschungseinrichtungen.

Hans-Arthur Marsiske ist weder Futurist noch Utopist, sondern in erster Linie gut informierter Journalist. Bündig und auch für den interessierten Laien verständlich stellt er derzeitige Raumfahrtprojekte in den verschiedensten Stadien dar. Fest steht für ihn, dass in diesem Jahrhundert ein neues Raumfahrtzeitalter anbrechen wird, nur wo die Reise hingeht, ist noch nicht ganz klar.

Sa, 12.2., 21.15 Uhr: „Raumkreuzer Hydra“, Metropolis. Mit Einführung und Präsentation des Buches „Heimat Weltall – Wohin soll die Raumfahrt führen?“ durch den Autor Hans-Arthur Marsiske