In der ewigen Nacht

Notizen aus dem Untergrund: Nimród Antals Debütfilm „Kontroll“ fährt ausgelassen U-Bahn in Budapest

Dass Budapest etwas anders ist als Berlin, hat man sich gedacht. Wie groß der Unterschied wirklich ausfällt, zeigt der in den USA geborene Regisseur Nimród Antal in seinem Debüt „Kontroll“ gleich am Anfang. Da steht nämlich ein Sprecher der Budapester Verkehrsbetriebe vor der Kamera und erklärt, dass der folgende Film natürlich nicht die Realität abbilde, sondern lediglich den „ewigen Kampf von Gut und Böse“ in die Budapester Metro verlegt habe. „Ich bin stolz,“ ergänzt der nette, ältere Herr, „dass wir einem jungen Regisseur helfen konnten.“ Vielleicht ist die U-Bahn in Budapest nicht schöner als die in Berlin, das Filmemachen möglicherweise schon.

Andererseits wird in Szene zwei gleich eine Betrunkene vor einen einfahrenden Zug gestoßen. In Szene drei wacht der Protagonist, der sympathische, aber auch etwas melancholische Fahrscheinkontrolleur Bulscú (Sándor Csány), auf einem verlassenen Bahnhof auf. In Szene vier sieht man ein in der Metro-Station aufgestelltes Autowrack zusammen mit dem Hinweis, man möge betrunken doch bitte U-Bahn fahren, dann einen Vollbartträger, der diesem Hinweis folgt. Zu dumm, dass es sich bei dem Bahnsteig-Raucher mit dem Flachmann um den Fahrer des Zuges handelt, der später Probleme hat, den nächsten Bahnhof abzupassen. So werden zu Filmbeginn nicht nur vage Ahnungen zerstreut, der Regisseur habe mit „Kontroll“ Werbung für die Budapester Verkehrsbetriebe machen wollen. Es wird außerdem die Bandbreite des Films vermessen.

Denn Antals Film ist schwer zu fassen und noch schwerer einem griffigen Genre zuzuordnen. Das erklärt vielleicht, warum „Kontroll“ im vergangenen Jahr eindrucksvolle Erfolge in Cannes (wo Antal den „Prix de Jeunesse“ gewann) und beim Fantasy-Filmfest verbuchen konnte. Denn je nach Lesart und Neigung ist hier für alle etwas dabei. Die ewige Nacht der Metro, die der Tageslicht-befreite Film in ausgewaschenen Bildern einfängt, ist in „Kontroll“ gleichermaßen Lebensraum, Vorhölle und Milieu-Beispiel. Und der Film Thriller, Komödie und Liebesgeschichte.

Der unbekannte U-Bahn-Schubser mit der Kapuzenjacke und stetig steigendem „Bodycount“ sorgt in „Kontroll“ für die Spannungsmomente. Doch den Schwerpunkt legt Antal auf Bulscú und dessen sympathische, wenn auch wenig kompetente Gruppe von Kontrolleuren. Mit einem Teenager, einem Pennertypen, einem Stoiker und einem Hitzkopf lassen sich die gestellten Aufgaben jedenfalls kaum bewältigen. Der Metro-Mörder soll gefasst werden, aber auch der „Roadrunner,“ der „König der Schwarzfahrer.“ Und als wäre das nicht genug, muss man sich auch noch mit renitenten Normalschwarzfahrern herumärgern (eine Zuhältergestalt: „Ich lauf doch nicht mit so ’nem Papierschnipsel rum!“), mit gewalttätigen Hooligans, dem Vorgesetzten, dem geheimdienstlich operierenden Sicherheitschef und den arroganten Kontrollkonkurrenten herumschlagen. Keine gute Zeit für Bulscú & Co.

Nimród Antal liebäugelt bei seinem charmant erzählten Film spürbar mit schwarzem bis absurdem Humor und versucht das Größtmögliche aus der Geschichte und seinem Protagonisten herauszuholen. Das überzeugt dann doch nicht so ganz, weil – vielleicht ein klassischer Debütfehler – zu viel auf und in den Film geladen wurde. Wenn sich der Held zum Finale blutig über den Bahnsteig Richtung Ausgang schleppt, hat Antal sowohl Bulscús zwischenzeitlich aufflackernde Romanze zum Mädchen im Teddykostüm wie auch Herkunft, Identität und Motivation des Metro-Mörders aus dem Blick verloren. In Kombination mit nicht immer eleganten Perspektiv- und Tonfallwechseln bleiben so die Bilder vom Leben, vom Sterben und vom halbherzig gepflegten Verfall unter Tage. THOMAS KLEIN