Wie ein Kaninchen aus dem Hut

Bundeskanzler Schröder ist immer für eine Überraschung gut. Jetzt schlägt er eine Reform der Nato vor, ohne seine eigene Regierung einzuweihen

AUS MÜNCHEN PATRIK SCHWARZ

Gemessen an den Umständen hat Gerhard Schröder das Wochenende relativ gut überstanden. Der Bundeskanzler musste an diesem Wochenende nur mit Grippe das Bett hüten. Sein großer Plan für die Zukunft der Nato ereilt ein härteres Schicksal: Er ist schon tot, ehe er so recht das Licht der Welt erblickt hat. Jedenfalls wenn es nach den meisten der Herren geht, die am Samstagmorgen im ausladenden Foyer des Bayerischen Hofes an ihren Kaffeetassen nippen. „Ärgerlich, sehr ärgerlich“ schimpft General Harald Kujat, Vorsitzender des Nato-Militärausschusses und viele Jahre oberster Soldat der Bundeswehr, eine „unglückliche Rede“. Verteidigungsminister Peter Struck hatte Schröders Worte verlesen. „Ein Desaster“, sagt Werner Hoyer, in der Regierung Kohl Staatsminister im Auswärtigen Amt. Und mehrere deutsche Diplomaten schwanken zwischen Frust und Ratlosigkeit, wie sie ihren Chef verteidigen sollen: „Da war nichts abgesprochen – das ist das alte deutsche Problem.“

Dabei war es eine Idee so recht nach dem Geschmack von Gerhard Schröder, dem Kanzler, der gern neue Kaninchen aus dem Hut zieht. Die Nato ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, lautete Schröders Analyse, insbesondere sei sie „nicht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren“. Um das zu ändern, schlug der Deutsche vor, was er auch zu Hause gern installiert: eine Reformkommission. „Ein hochrangiges Panel unabhängiger Persönlichkeiten von beiden Seiten des Atlantiks“ solle bis Anfang 2006 den Staats- und Regierungschefs von George Bush bis Silvio Berlusconi sagen, wo’s lang geht. Was Verteidigungsminister Donald Rumsfeld davon hielt? Das müsse er sich erst noch mal durchlesen, knurrte der Herr des Pentagon. „Das Urteil spare ich mir auf.“

Zum dritten Mal in drei Jahren trumpft damit die rot-grüne Regierung bei der Sicherheitskonferenz mit großartig angekündigten Weltverbesserungsplänen auf – die bereits am Ende der dreitägigen Veranstaltung beerdigt sind. 2003, nur Wochen vor den US-Bomben auf Bagdad, wollte Schröders Truppe noch rasch den Irakkrieg verhindern. Über den Spiegel wurde der Plan lanciert, UN-Blauhelmsoldaten im Irak zu stationieren, die Franzosen seien auch ganz begeistert von der Idee. Titel der Operation mit globalen Ausmaßen: „Projekt Mirage“. Nur Verteidigungsminister Struck, in München bestürmt, was es mit der weltpolitischen Idee auf sich habe, war ratlos – ebenso wie seine französische Amtskollegin.

2004, durch die Pleite des Vorjahrs nicht klüger geworden, war es an Außenminister Joschka Fischer, der versammelten Militärelite des Westens zu erklären, wie man dem Nahen Osten Demokratie beibringe. In Konkurrenz zu den Großmachtplänen der USA stellte der einstige Turnschuhminister seine ganz persönliche Friedensinitiative vor: EU, Nato und Mittelmeeranrainer sollten in einer konzertierten Aktion die Werte des Westens verbreiten. Le Monde notierte „Rumsfeld schweigt zu Fischers Plan“. Tatsächlich hatte der US-Verteidigungsminister sich bei seinem Kollegen Struck persönlich beschwert, er habe im Konferenzsaal zum ersten Mal von dem „Fischer-Plan“ gehört.

Und nun die Nato-Reform. Wie schon die Vorstöße der beiden Vorjahre leidet auch dieses Projekt unter schlechtem Handwerk so sehr wie unter konzeptioneller Unschärfe. Obwohl sich die Nato-Verteidigungsminister erst am Donnerstag in Nizza getroffen hatten, war offenbar keiner von ihnen ins Bild gesetzt. „Wer unglücklich über mangelnde Konsultationen ist, soll die vorhandenen Möglichkeiten im Bündnis besser nutzen“, reagierte fast beleidigt Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Und nicht zuletzt saßen viele der amerikanischen Teilnehmer dem Missverständnis auf, Schröder fordere die Schwächung der Nato, während er sie doch nur beklagen wollte. „Das sind Initiativen, wie Initiativen auf der Sicherheitskonferenz eben sind“, seufzte denn auch ein Regierungsmitarbeiter mit leidvoller Erfahrung in der Abstimmung internationaler Vorhaben.

Vor allem aber fehlte in München ein überzeugender Verfechter der Idee. „Wo ist die Vorbereitung? Wo ist das Pressebriefing?“, stöhnt ein deutscher Offizieller. Doch nicht nur Regierungssprecher Bela Anda war zu Hause geblieben. Sein Chef, der vergrippte Kanzler in Hannover, hatte Minister Struck das Manuskript offenbar wortlos weitergereicht und auch sonst niemanden in seine Gedanken eingeweiht. So bot Struck auf irritierte Nachfragen kaum Erläuterungen und auch die anwesenden Abgeordneten der rot-grünen Koalition konnten keine Schützenhilfe leisten.

Joschka Fischer machte die Dinge am Sonntag nicht viel besser, als er zwar Schröders Analyse rühmte, den Vorschlag der Nato-Reformkommission aber nicht in den Mund nahm. Vor einem Publikum wie auf der Sicherheitskonferenz ist das fatal. Denn die 250 Zuhörer aus Militär und Politik sind für nichts größere Experten als für Macht und die Mittel zu ihrer Durchsetzung.