„Erzählen hat etwas sehr Nahes und Direktes“

Ab morgen tragen Menschen aus verschiedenen Ländern in Bergisch Gladbach Geschichten vor. Zum ersten, aber nicht zum letzten Mal, hofft Stefan Kuntz, Initiator des Internationalen Erzählfestivals. Doch wie erzählt man eigentlich gut?

taz: Herr Kuntz, Sie sind selbst Geschichtenerzähler. Wo nahm Ihre Karriere den Anfang?

Stefan Kuntz: Bei den Pfadfindern. Ich habe eine Gruppe kleiner Jungen über ein Wochenende in eine Hütte geführt, in der es keinen Strom gab. Abends vor dem Schlafengehen wollten sie dann eine Geschichte hören. Ich hatte kein Buch dabei, außerdem war es dunkel. Da fand ich es sehr schön, mir etwas über knarrende Gespenstertüren auszudenken.

Und? Hatten Sie damit gleich Erfolg?

Ja, das hat allen Beteiligten Spaß gemacht. Denn auch der Geschichtenerzähler muss Spaß an der Sache haben und ein Gespür dafür, ob die Zuhörer Spaß haben. Das Erzählen ist ja viel mehr als im Theater eine wechselseitige Angelegenheit.

Und später sind Sie dann als professioneller Geschichtenerzähler aufgetreten?

Ja, 1980, vor 25 Jahren, begann ich, das mit professionellem Anspruch zu verfolgen. Der Grund dafür war, dass ich mich in meiner Theaterarbeit ganz bewusst absetzen wollte von den Stadttheatern oder Opernhäusern. Ich wollte auf der Bühne ganz speziell etwas für eine einzige Person schaffen. Ich nannte es: „Setz dich auf meinen Schoß und leih mir dein Ohr“. Das war ungeheuer individuell und sehr anspruchsvoll. Es hat auch nicht lange funktioniert.

Warum findet das Erzählfestival in Bergisch Gladbach statt?

Weil ich da seit zwei Jahren wieder wohne. Auch meine Pfadfinderzeit habe ich hier verbracht. Außerdem hat die Kleinstadt für so ein Festival viele Vorteile: Die Kontaktaufnahme mit Unterstützern und Behörden ist einfacher, die Presse spielt mehr mit. In Köln muss man ungeheuer groß klotzen, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen.

Wer finanziert das Festival angesichts leerer öffentlicher Kassen?

Der Verein zur Förderung des Kindertheaters wird die Kosten von rund 10.000 Euro übernehmen. Dieser wiederum speist sich aus privaten Spenden und Zuwendungen aus Bußgeldern.

Was wird erzählt?

Zum Beispiel über die Geschichte des Geschichtenerzählens im Mittelalter. Ein Erzähler kommt aus Afghanistan, der nicht nur Folkloristisches erzählt, sondern auch Politisches. Außerdem gibt es eine Sonderveranstaltung zum Thema „Ist Multikulti am Ende?“ mit dem niederländischen Geschichtenerzähler Marco Holmer.

Hat das Festival eine Zukunft?

Das kommt darauf an, wie die Resonanz ist. Ich habe vor, das Ganze 2007 zu wiederholen, dann aber im gesamten Bergischen Land. Alles hängt natürlich auch von den Finanzen ab, von der Frage, ob die öffentliche Hand bereit ist, etwas dazu zu geben. Oder ob die Zuständigen sich weiterhin in ihren Sesseln zurücklehnen.

Woran liegt es, dass Erzählen immer noch aktuell ist?

Erzählen ist sehr authentisch. Der Zuhörer hat das Gefühl, dass er persönlich angesprochen wird und nicht der 583. Zuschauer in der 97. Reihe ist. Erzählen ist sehr nah, sehr direkt.

Wie erzählt man eine gute Geschichte?

Indem man dem Zuhörer in die Augen blickt und überlegt: Hat der jetzt noch Lust, mag der gerne zuhören? Wenn man merkt, das ist nicht der Fall, dann muss man die Geschichte abkürzen oder spannender machen. Wenn ich aus dem Stegreif erzähle, habe ich immer Instrumente oder Seifenblasen dabei. Dann kann ich Momente einbauen, in denen ich nachdenken kann.

Gehen Sie Ihren Mitmenschen mit Ihren Geschichten manchmal auch auf die Nerven?

Ja, früher meinen Kindern. Mein Sohn interessiert sich sehr für Märchen und wollte als kleines Kind eher, dass ich ihm aus meinem alten Märchenbuch etwas vorlese, anstatt improvisierte Geschichten zu erzählen. Kollegen geht das auch so: Kinder sehen die Kunst ihrer Eltern reserviert für den öffentlichen Raum. Im Privaten wollen sie etwas anderes. Wenn ein Maurer ständig für seine Familie Wände hochzieht, ist das auch nicht zu ertragen.

Haben Geschichtenerzähler auch ein Talent zum Lügen?

Ja, die Erzähler, die improvisieren können, pflegen dieses Talent natürlich. Man vergisst die Realität und baut sie weiter aus nach dem Motto: Keine Geschichte ist so gut, als dass sie nicht besser zu Ende gelogen werden kann.

INTERVIEW: CLAUDIA LEHNEN