„Ich bin gern hier“

Nachwuchs fördern: Der brasilianische Regisseur Walter Salles ist Pate beim diesjährigen Berlinale Talent Campus

taz: Herr Salles, kam die Einladung, beim Berlinale Talent Campus Pate zu werden, überraschend?

Walter Salles: Nein, das war lange geplant. Großartig, dass Festivals jetzt junge Talente fördern. Das Sundance Institute ist sehr wichtig für den lateinamerikanischen Film. Mein Film „Central do Brasil“ wurde dort gefördert. Cinefondation in Cannes sorgt jetzt auch für den Nachwuchs. Der Berliner Talent Campus ist mit 500 Menschen aus ganz unterschiedlichen Gebieten quantitativ gesehen das wichtigste Ereignis.

Ist Lehren für Sie eine neue Erfahrung?

Nein, ich habe früher in Sundance und in Rio de Janeiro Kurse über filmisches Erzählen und das Verhältnis von Dokumentar- und Spielfilm gegeben. Manchmal wird man als Dozent sogar mehr inspiriert, als man selbst inspirieren kann.

Ab 17. Februar gibt es ein Koproduktionsabkommen für Filme zwischen Deutschland und Brasilien. Eine gute Nachricht?

Ja, ähnliche Abkommen gibt es auch mit Ländern Asiens und Afrikas. Wenn Brasilien mit von der Partie ist, finde ich das prima.

In Deutschland gibt es den „World Cinema Fund“ mit dem Ziel, die Koproduktion und den Vertrieb von Filmen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu fördern. Finden Sie das reizvoll?

Ja, ich denke immer an das Sundance Institute. Ohne den Preis für unser Drehbuch gäbe es „Central Station“ vielleicht gar nicht. Der Preis weckte das Interesse verschiedener Produzenten, die in das Projekt einstiegen. Das Vertrauen eines Festivals hilft einem Projekt.

Der Goldene Bär für „Central do Brasil“ 1998, die Vorführung von „O Primeiro Dia“ im Panorama 1999, die Patenschaft beim Talent Campus – lässt das auf eine enge Berlin-Beziehung schließen, wenngleich Sie letztes Jahr mit „Die Reise des jungen Che“ nach Cannes gingen?

Nur wenige Festivals auf der Welt halten dem Vergleich mit Berlin stand: ein Festival der Filme und eines mit einer engen Beziehung zwischen Publikum und Regisseuren. Das Berliner Publikum hat eine geschulte Weltsicht, ein ausgezeichnetes Filmverständnis. Die Berlinale ist viel aufgeschlossener für die Welt als alle Festivals, die jene besuchen, die Godard als „die Professionellen der Profession“ bezeichnet hat. Deshalb bin ich gern hier.

Wenn Ihr jüngster Film, „Die Reise des jungen Che“, ein zeitintensives Projekt war, denken Sie überhaupt an andere Projekte – und bekommen dann Angst vorm Älterwerden?

Robert Doisneau, der französische Fotograf, den ich bewundere, sagte einmal zu Jean-Claude Carrière, Buñuels Drehbuchautor: „Wenn du jung bist, siehst du das Detail und beschäftigst dich damit. Wenn du reifer und Meister deines Ausdrucks bist, dann vermagst du das Detail in den Zusammenhang einzuordnen. Wenn du alt wirst, musst du darum kämpfen, das Detail zu erkennen und nicht nur an den Zusammenhang zu denken.“ Wer seine Neugier nicht verliert, widersteht in gewisser Weise dem Altern seiner Ideen und Gedanken. Nur davor habe ich große Angst: Plötzlich nicht mehr zu merken, dass Ideen sich festsetzen. Nur der stete Versuch, alles zu hinterfragen, hält den Menschen am Leben. Als ich im letzten Jahr mit dem Film umherreiste, habe ich das Kino unablässig hinterfragt. Ich überlegte, welchen Weg ich einschlagen sollte, habe mich für ein brasilianisches und/oder südamerikanisches Kino entschieden. Die Suche nach Identität, die unterschiedlich dekliniert wird, ist mein Thema. Am Ende dieses Jahres gehe ich nach Brasilien und drehe mit Daniela Thomas, meiner Co-Regisseurin aus Terra Estrangeira, einen neuen Film.

INTERVIEW: UTE HERMANNS