„Rot-Grün hat das nicht gewollt“

Die grüne Frauenpolitikerin Katja Husen über Visamissbrauch und Zwangsprostitution

taz: Frau Husen, was sagen Sie zu dem Vorwurf der Union, ausgerechnet durch die rot-grüne Visapolitik sei die Zwangsprostitution von osteuropäischen Frauen befördert worden?

Katja Husen: Ich finde diese Vorwürfe falsch und platt. Die CDU versucht, die Frauenrechte zu instrumentalisieren, um Rot-Grün zu schaden. Klar ist: Wenn es zu Missbrauch von Visa durch Schleuser gekommen ist, kann man nicht ausschließen, dass sie es auch genutzt haben, um Frauen ins Land zu schleusen. Es ist aber geradezu absurd zu sagen, Rot-Grün habe diesen Missbrauch gewollt oder befördert.

Gewollt vielleicht nicht. Aber es spricht doch viel dafür, dass das Geschäft der Frauenhändler und Zuhälter durch den Erlass vom März 2000, „im Zweifel für die Reisefreiheit“ zu entscheiden, zumindest erleichtert wurde, oder etwa nicht?

Was wir wissen, ist, dass die Zahl der bewilligten Visa für Menschen aus der Ukraine deutlich gestiegen war. Aber niemand kann bisher sagen, in wie vielen Fällen davon die humanitären und wirtschaftspolitischen Kriterien erfüllt waren, und in wie vielen nicht. Da es darüber keine Zahlen gibt, lässt sich auch nicht sagen, in welchem Umfang es zu Missbrauchsfällen gekommen ist. Schon gar nicht, wie viele Frauen später in Deutschland Opfer von Zwangsprostitution wurden.

Klar ist, dass die Möglichkeit des Missbrauchs lange bestand. Das Auswärtige Amt hat im März 2003 selbst zur „massenhaften Verwendung von Reiseschutzpässen“ festgestellt: „Sie wurden über viele Monate auch von Schleusern und Schleppern missbraucht, um Visa zu erschleichen.“ Hätte man darauf nicht früher reagieren müssen?

Dass es Versäumnisse gab, bestreitet ja niemand. Aber es bleibt Aufgabe des Untersuchungsausschusses zu klären, warum es zu Verzögerungen kam. Das kann ich nicht beurteilen. Was mich aufregt, sind die abenteuerlichen Schlussfolgerungen, die von der Union daraus gezogen werden, nämlich: Rot-Grün habe Zwangsprostitution gewollt – und: Wenn die Grenzen hermetisch abgeschottet würden, gäbe es keine Zwangsprostitution. So einfach ist das nicht.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie? Was kann man gegen Zwangsprostitution tun?

Der Zwang zur Prostitution beginnt oft mit der Gewalt, die den Frauen in Deutschland angetan wird. Deshalb muss sie vor allem hier bekämpft werden. Dafür müssen die Kapazitäten für die Strafverfolgung bereitgestellt werden. Außerdem brauchen wir ein langfristig gesichertes Aufenthaltsrecht für die Opfer. Vor allem aber muss etwas gegen die Armut in den Herkunftsländern getan werden, die die Frauen überhaupt erst dazu bringt, alles daran zu setzen, nach Deutschland zu kommen.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF