Die unangenehme Ruhe nach dem Knall

Mit der „Aktion Noteingang“ machte sich das Dosto 1998 einen Namen. Nun wurde ein Sprengstoffanschlag auf den Bernauer Jugendclub verübt. Die Stadtoberen fördern den linken Club. Doch die rechtsextreme Struktur in Bernau wollen sie nicht sehen

An Straßenlaternen kleben Aufkleber. „Dosto abfackeln“, heißt es darauf

AUS BERNAU FELIX LEE

Beim Namen nennt er sie nicht. Eckhard Illge spricht nur von „denen“. Die würden „massive Gegenreaktionen mit Auseinandersetzungen“ organisieren. Würde Bernaus Jugenddezernent „sie“ beim Namen nennen, müsste er von rechtsextremen Jugendlichen sprechen. Stattdessen redet er von dem „Tourismusproblem“, das seine Stadt habe. Denn es habe schon länger vereinzelte Fälle mit „Extremisten“ gegeben, gesteht Illge. Aber wie gesagt: „Mit Sicherheit nicht von Bernau aus.“

Fest steht: In der idyllischen Stadt vor den Toren Berlins hat es einen Sprengstoffanschlag gegeben. In der Nacht zum 25. Januar demolierten Unbekannte den linksalternativen Jugendclub Dosto. Der Schaden ist nach wie vor zu sehen. Fensterrahmen, die aus der Wand gedrückt sind. Das Fensterbrett geborsten, ebenso das Doppelglas. Verletzt wurde zum Glück niemand. Aber der Schrecken bei den Dosto-Jugendlichen sitzt tief.

Von den Tätern fehlt bis heute jede Spur. Dem Sozialarbeiter des Jugendclubs, Knut Steinkopf, hatte der Staatsschutz gesagt, dass nach allen Seiten ermittelt werde. Schließlich könne es ja auch sein, dass irgendein eifersüchtiger Freund die Baracke in Brand gesetzt hat, habe man den Clubbetreibern erzählt. Zum Zeitpunkt des Anschlags feierte eine Dosto-Nutzerin ihren Geburtstag.

Seit der Wendezeit befindet sich das Dosto in der alten Baracke. Demnächst soll es ohnehin ein neues Domizil bekommen. 250.000 Euro will die Stadt für ein neues Gebäude zur Verfügung stellen. Größer, moderner mit mehr Räumen, damit die Tischtennisplatte nicht erst zusammengeklappt werden muss, wenn der Kicker aufgestellt wird. 28 Stadtverordnete hatten für die Förderung des Dosto gestimmt. Nur zwei dagegen. Bereits im März soll die erste Planungsstufe abgeschlossen sein.

Doch außerhalb der Stadtverordnetenversammlung gab es Protest gegen diesen Beschluss. 35 Anhänger der rechtsextremistischen Kameradschaft „Nationales Bündnis Preußen“ marschierten unter dem Motto „Keine Kohlen für Chaoten“ durch Bernau. Einen Tag vor dem Anschlag auf den Jugendclub. Die Bürgerinitiative „Netzwerk für Toleranz“ mobilisierte mindestens 150 Gegendemonstranten. Auch Stadtverordnete waren dabei. Sie zeigten sich erbost darüber, dass „angereiste rechte Jugendliche“ versuchten, den Beschluss der Bürgervertretung auszuhebeln. So schrieb es die Zeitung vor Ort.

Doch anders als bei den beiden rechten Aufmärschen im Vorjahr, die tatsächlich Neonazis aus Hamburg und Berlin organisierten, war nun der Kameradschaftsaktivist Roy G. federführend – ein Bernauer. Und beim Nationalen Bündnis Preußen handelt es sich um eine straff organisierte Kameradschaft mit mindestens 15 Mitgliedern – ebenfalls Bernauern.

Die Gruppe hatte schon einmal Schlagzeilen gemacht. Vor allem im Herbst bei den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV war sie in Erscheinung getreten, erzählt Mike (19), der seit vier Jahren im Dosto ein und aus geht. Anmelder war Thomas Strese, früher in der Schill-Partei. Der habe anfangs überhaupt keine Probleme damit gehabt, dass Nazis mitdemonstrierten, sagt Mike. Erst als auch militante Kameradschaften wie der „Märkische Heimatschutz“ und aus Berlin die „Kameradschaft Thor“ sowie die „Berliner Alternative Südost“ (Baso) anrückten, sei auch dem Rechtspopulisten mulmig geworden.

An einem sonnigen Februartag, beim Blick aus dem Dienstzimmer des Jugenddezernenten auf den alten Stadtpark gerät so etwas leicht in Vergessenheit. Tatsächlich könnte man meinen: In Bernau ist alles in Ordnung. Zufriedene Gymnasiasten, die auf dem Nachhauseweg durch den Park schlendern. Eine dunkelhäutige Mutter mit ihrem Kind, die nicht den Anschein macht, Angst vor fremdenfeindlicher Gewalt zu haben. Im Sommer sei der Park bis in die Puppen von jungen Leuten bevölkert, sagt Jugenddezernent Illge. Von alternativen Jugendlichen, versteht sich, keinen rechten. Denn Bernau setzt auf Prävention. Allein zwölf Jugendeinrichtungen würden von der Stadt gefördert – bei einer Einwohnerzahl von 35.000 ist das sehr viel. Die brandenburgische Planungsbehörde spricht vom dichtesten Netz von Jugendeinrichtungen überhaupt.

Die Jugendlichen vom Dosto fühlen sich dennoch unverstanden. Sie warnen bereits seit Monaten vor einer wieder erstarkenden Generation von Rechtsextremisten in Bernau. Und Mike meint damit nicht die Übergriffe auf Vietnamesen, Camper aus Berlin oder einen Schwarzafrikaner, die vor allem 1998 und 1999 Schlagzeilen machten. Mike meint damit auch nicht den aktuellen Thor-Steinar-Trend, der auch an Bernaus Jugend nicht vorbeigegangen ist. Jacken und Kapuzenpullis einer brandenburgischen Marke, die auf neonazistische Symbole anspielt. Mike meint die gewaltbereiten Nazi-Skins, die sich ganz im klassischen Outfit mit Bomberjacken und Springerstiefeln regelmäßig vorm Bahnhofsbistro treffen, um Migranten und linke Jugendliche einzuschüchtern.

Die 17-jährige Dosto-Nutzerin Svenna erzählt vom Jugendkulturfest, als sie und ihre Freunde in Richtung Innenstadt liefen und von 15 Nazis verfolgt und bedroht wurden. Auch Mike berichtet von Freunden, die von Neonazis zusammengeschlagen wurden – in ebendiesem idyllischen Stadtpark, auf den Dezernent Illge von seinem Dienstzimmer aus jeden Tag schaut. Alles Fälle vom vergangenen Jahr. Explizit zum Hassobjekt erklärten die Neonazis das Dostro im April 2004. Die Dosto-Jugendlichen wollten öffentlich über den „Märkischen Heimatschutz“ informieren. Damals demonstrierten hundert Neonazis gegen diese Veranstaltung. Seitdem sind die Dosto-Nutzer ständigen Hassparolen ausgesetzt. An Straßenlaternen kleben Aufkleber, „Nieder mit dem Dosto“, „Dosto abfackeln“ oder „Kein Treffen für Linksradikale“, heißt es darauf. Mit einem Anschlag hat aber niemand gerechnet. Nicht Mike, nicht Svenna, auch nicht Sozialarbeiter Knut Steinkopf. Vor allem aber nicht die Stadt. Die tut sich schon länger schwer mit dem Blick nach rechts.

1998 starteten Jugendliche aus dem Dosto-Umfeld die „Aktion Noteingang“. Aufkleber an Geschäften und Einrichtungen versprachen Schutz für Opfer von rechter Gewalt – und schufen so vor allem ein öffentliches Bewusstsein. Der Aufruf zur Zivilcourage fand bundesweit Nachahmer und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Aachener Friedenspreis. Doch Bernaus Bürgermeister Hubert Handke (CDU) verbot zunächst allen öffentlichen Einrichtungen, die Aufkleber anzubringen. Er wolle sich nicht gegen Rassismus positionieren, weil er ja Bürgermeister aller Bernauer sei, lautete seine Begründung damals.

Der Bürgermeister heißt noch immer Handke. Sensibler geworden, das ist er schon, sagt Sozialarbeiter Steinkopf. Doch noch bei den ersten Naziaufmärschen vor einem Jahr hätten die Stadtoberen völlig lethargisch reagiert. „Die haben sich immer nur Gedanken gemacht, wie man die Jugendlichen unter Kontrolle kriegt, die sich gegen rechts wehren wollen. Das war ihre größte Sorge.“ Und selbst nach dem Anschlag reichte es nicht für ein Solidaritätsschreiben. Nicht mal für einen Anruf.

Nur die PDS hat nachgefragt. Ob sich die Jugendlichen im Stich gelassen fühlen? Irgendwie schon, sagt Steinkopf. Aber wenigstens gebe es kein offensives Kontra mehr. „Und für ein offensives Pro zu nichtrechter Jugendkultur – so weit ist Bernau eben noch nicht.“