Der KVB geht es an den Kragen

Mit den europaweiten Liberalisierungen im Dienstleistungssektor stehen auch in Köln öffentliche Einrichtungen zur Disposition: Zum Beispiel die KVB, der WDR, die Sparkasse und die Müllabfuhr

VON SEBASTIAN SEDLMAYR

Der Name „Bolkestein“ sorgt derzeit an Stammtischen und in Chefetagen Deutschlands gleichermaßen für Aufregung. Die nach dem ehemaligen EU-Kommissar Frits Bolkestein getaufte Richtlinie der Europäischen Union droht den deutschen Arbeitsmarkt auf den Kopf zu stellen. Auch in Köln könnte „Bolkestein“ verheerende Auswirkungen haben, fürchtet die Kölner Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD): „Ich bin in großer Sorge um die Qualität in der Altenpflege, bei der Betreuung in den Kindergärten und im Nahverkehr, wenn diese Bereiche für den freien Markt geöffnet werden sollten und ausländische Firmen mit Dumpinglöhnen auf den Kölner Markt drängen sollten.“ Auch der grüne Fraktionsvize Jörg Frank meint: „Die Verabschiedung der Richtlinie muss unbedingt gestoppt werden.“

Nach der Bolkestein-Richtlinie dürfen Firmen aus der EU sämtliche Dienstleistungen an jedem Ort der EU frei anbieten. Ein spanischer Mischkonzern könnte also in Köln mit ungarischen Arbeitern die Müllabfuhr erledigen. Die Kommune dürfte der Firma keinerlei Bedingungen auferlegen. Außerdem gilt nach „Bolkestein“ für die Bewertung von Sozial- und Umweltstandards von Unternehmen das „Herkunftsprinzip“. Damit greifen allein die Gesetze, die am Firmensitz wirksam sind, und nicht die Normen des Landes, in dem die Arbeit verrichtet wird. „In Ungarn müssen mindestens 40 Mitarbeiter in einer Firma beschäftigt sein, um einen Betriebsrat zu gründen, in Deutschland sind es nur fünf“, erklärt Christina Deckwirth von Attac die Schwierigkeiten, fundamentale Arbeitnehmerrechte zu gewährleisten, wenn die Richtlinie in Kraft treten sollte. Neben der Mitbestimmung seien das Streikrecht, das Lohnniveau und die Kontrolle der Beschäftigungsverhältnisse akut gefährdet, so Deckwirth.

Gemeinsam mit dem bereits 1995 ausgehandelten General Agreement on Trades and Services (GATS) der Welthandelsorganisation (WTO) droht die europäische „Bolkestein“-Richtlinie zudem, das in Deutschland seit Jahrzehnten bewährte System der öffentlichen Daseinsvorsorge komplett auszuhebeln. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, öffentlich finanzierter Nahverkehr, die Sparkassen oder auch staatliche Schulen könnten bald Geschichte sein, weil ihre Existenz auf staatlicher Subventionierung beruht. Mit GATS und Bolkestein sollen aber jegliche Subventionierungen verboten werden.

Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, sagte der taz gestern: „Das Herkunftslandsprinzip muss gekippt werden.“ Schulz weiter: „Es kann nicht sein, dass der niedrigste Sozialstandard zum besten erhoben wird.“ Einen absoluten Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge vor privater Konkurrenz hält er allerdings für „nicht durchsetzbar“.

Um Ausnahmen für Deutschland zu verhandeln, war Anfang der Woche auch Bundeskanzler Gerhard Schröder in Brüssel vorstellig geworden. Für Attac-Aktivistin Deckwirth ist die Kanzlerreise „ein kleiner Erfolg“. Am liebsten wäre ihr aber, die Richtlinie verschwände gänzlich im Papierkorb: „Wir brauchen mehr demokratische Einflussnahme, nicht mehr Markt.“

„GATS und die Bolkestein-Richtlinie“, Podiumsdiskussion heute um 19.30 Uhr im Bürgerhaus Stollwerck, Dreikönigenstraße 23. Mit der Kölner SPD-Bundestagsabgeordneten Lale Akgün, Christina Deckwirth (Attac), Jörg Gonsior (Ver.di Köln), Reiner Metz (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) sowie Martin Schulz, Fraktionsführer der Sozialdemokraten im Europaparlament.