„Da hätten die Glocken klingeln müssen“

Der Untersuchungsausschuss der Bundestags hörte Sachverständige zum Volmer-Erlass. Mehr als dieser war wohl seine Umsetzung in den Konsulaten das Problem

BERLIN taz ■ Wann Joschka Fischer kommt, war den juristischen Sachverständigen in der ersten öffentlichen Sitzung des Visa-Untersuchungsausschusses wohl egal. Sie hatten zu beurteilen, ob der umstrittene, von Fischer unterzeichnete „Volmer-Erlass“ tatsächlich Schuld an den Visa-Missbräuchen trägt – oder ob er lediglich falsch umgesetzt wurde. Einig waren sie sich, dass die Visa-Anträge in einigen Botschaften wohl nicht ausreichend geprüft wurden.

Am Ende der Diskussion rückte ein anderer Runderlass des Auswärtigen Amtes in den Mittelpunkt: jener vom 15. Oktober 1999, der die Reiseschutzversicherung in Form der „Carnet de touriste“ eingeführt hat. Allein diese Verschiebung der Thematik wertete der Obmann der Grünen, Jerzy Montag, schon als Erfolg. Doch auch die Ausschussmitglieder der Opposition sahen sich in ihrer Meinung bestätigt. Der Obmann der CDU/CDU-Fraktion im Ausschuss, Eckart von Klaeden, sagte, die Sachverständigen hätten deutlich gemacht, dass der Erlass vom Oktober 1999 nicht „mit dem Schengen-Recht vereinbar“ war.

Auch der Sachverständige Olaf Reermann, ehemaliger Abteilungsleiter im Innenministerium, sah im „Volmer-Erlass“ einen Fehler: im viel zitierten Satz „im Zweifel für die Reisefreiheit“. „Da hätten bei den Botschaftsangehörigen die Glocken klingeln müssen“, sagte er. Und: „Wieso braucht jemand für den Besuch des Kölner Doms drei Monate?“ Zu seiner Amtszeit hätte gegolten: Im Zweifel muss das Visum abgelehnt werden.

Reinhard Böckmann, Fachausbilder im Auswärtigen Amt, hielt dagegen: „Das war kein Freibrief, die Antragsteller einfach hereinzulassen“, sagte er.

Der dritte Sachverständige, der Verwaltungsrichter Joachim Teipel, wies darauf hin, dass die Auslandsvertretungen nicht von der Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Anträge entbunden gewesen seien. „Das Problem scheint mir nicht der Erlass zu sein, sondern seine praktische Umsetzung“, sagte er.

Die problematische Umsetzung begann jedoch damit, dass durch den Volmer-Erlass erheblich mehr Anträge gestellt wurden – und die Botschaftsmitarbeiter angesichts langer Schlangen vor den Vertretungen zu wenig Zeit zur Prüfung der Anträge hatten. Der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) fragte mehrmals, ob ein Antrag innerhalb von „zwei bis fünf Minuten“ – die angenommene Bearbeitungszeit –ordnungsgemäß geprüft werden könnte. Nein, hieß die Antwort.

Der Fokus der Diskussion der kommenden Sitzungen könnte nun auf dem Erlass vom Oktober 1999 liegen. Bei der Vorlage der „Carnet de touriste“ wurden die Botschaften aufgefordert, in der Regel auf die weitere Prüfung des Zwecks und der Finanzierung der Reise zu verzichten. Zwei Jahre später wurde der Erlass aufgehoben. Reermann sagte, die Carnets seien faktisch als „Ersatzvisum“ missbraucht worden. An der Rechtmäßigkeit dieses Erlasses meldeten die Sachverständigen Zweifel an.

SASCHA TEGTMEIER