„Weniger glaubwürdig“

POLEN Von einem morgendlichen Mikrofonverbot für Frauen bei Polskie Radio will das Springer-Blatt „Dziennik“ erfahren haben

Die Nachrichten von Polskie Radio wurden gestern wie gewohnt moderiert – von einem Mann und einer Frau

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

„Frauenstimmen machen das Radio kaputt. Morgens wirst du sie nicht mehr hören“ – mit dieser Schlagzeile trat die polnische Tageszeitung Dziennik eine Lawine los. Die Direktion des staatlichen polnischen Rundfunks Polskie Radio habe beschlossen, Redakteurinnen künftig erst ab 14 Uhr an die Mikrofone zu lassen, da ihre Stimmen „schlechter“ klängen und „weniger glaubwürdig“ als männliche. „Diskriminierung“, empörten sich daraufhin andere Medien. Der Ombudsmann für Bürgerrechte schaltete sich sofort ein und sogar die staatliche Arbeitsaufsicht kündigte öffentlich an, diese seltsame „Direktive“ überprüfen zu wollen. Die HörerInnen von Polskie Radio aber konnten sich gestern Früh nur wundern, denn die Nachrichten wurden wie fast immer zu zweit moderiert – von einem Mann und einer Frau.

Polens Fachdienste Press und WirtualneMedia hielten sich denn auch mit einer eindeutigen Verurteilung des Radios zurück. Auf ihren Internetseiten fassten sie nur kurz den Dziennik-Artikel zusammen, merkten aber auch an, dass Dziennik die Richtigstellung von Polskie Radio nicht abgedruckt habe. In Fachkreisen genießt das Blatt, das vom Axel-Springer-Verlag herausgegeben wird, nicht gerade den besten Ruf. Auch die Leser haben Dziennik in den letzten Monaten mehr und mehr das Vertrauen entzogen. Die Auflage sank um 40 Prozent. Vor Kurzem publizierte das Blatt ein Interview, das in Wirklichkeit nie stattgefunden hatte. Nachdem der angeblich Interviewte im Radio heftig protestierte, entschuldigte sich Dziennik lakonisch mit dem Satz, dass es hier leider „zu einem Fehler“ gekommen sei.

Ob im Fall der angeblich „unglaubwürdigen Frauenstimmen am Mikrofon“ das polnische Radio oder doch Dziennik recht behalten werden, ist zurzeit kaum zu entscheiden. Denn auch das polnische Radio hat sich in der letzten Zeit einiges zuschulden kommen lassen, gerade auch wenn es um die Diskriminierung von Frauen geht. So entließ vor drei Jahren der Vizechef des polnischen Radios eine langjährige und überaus beliebte Musikredakteurin, weil sie angeblich eine „alte Schachtel aus der Zeit des Sozialismus“ sei. Überhaupt sah sich Jerzy Targalski von „alten Weibern“ umgeben, die „das Radio nicht mehr brauche“, wie Redakteurinnen berichteten. Eine jüngere Mutter, die zwei Kinder adoptiert hatte und ebenfalls entlassen werden sollte, musste sich sagen lassen, dass es nicht Targalskis Problem sei, wenn die Moderatorin „Kinder von Besoffenen“ zu sich nähme. Einen Redakteur, dessen linksliberale Ansichten ihm missfielen, entließ er – offiziell aufgrund dessen Alters von 58 Jahren.

In den folgenden Jahren verlor der Radiovizechef fast alle Prozesse. „Diskriminierung von Redakteuren aufgrund ihres Altes und/oder Geschlechts“ hieß das Urteil immer wieder. Polskie Radio musste die Entlassenen wieder einstellen, die Gehälter vollständig nachzahlen und darüber hinaus eine Art Schmerzensgeld für die erlittene Diskriminierung bezahlen.

Am Freitag letzter Woche verlor Targalski auch noch den Prozess, den er gegen Agnieszka Kublik, eine bekannte Journalistin der Gazeta Wyborcza, angestrengt hatte. Angeblich habe Kublik durch die Artikel über die Entlassungen im polnischen Radio seinen guten Ruf beschädigt und ihn öffentlich diffamiert. Nach anderthalb Jahren Prozessdauer urteilte das Gericht in Warschau nun aber, dass Kublik ihren Artikel mit aller notwendigen Sorgfalt recherchiert habe und die zitierten Aussagen so oder so ähnlich gefallen sein mussten. Targalski habe Frauen und Männer aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer politischen Einstellung offen diskriminiert und müsse sich dies auch sagen lassen, befanden die Richter.