„Die Hamas hat sich geändert und will mitregieren“, sagt Hani al-Masri

Die Entspannung in Nahost beruht auf ungleichen Voraussetzungen. Scharon verfolgt seine eigene Roadmap

taz: Herr al-Masri, was ist von der Freilassung der 500 palästinensischen Häftlinge zu halten?

Hani Al-Masri: In den israelischen Gefängnissen befinden sich etwa 8.000 palästinensische Gefangene, unter ihnen 350 Kinder und 120 Frauen. Ungefähr 4.000 bis 5.000 von ihnen sind administrative Häftlinge …

die also ohne Verfahren festgehalten werden?

Ja. Israel erpresst die Palästinenser mit diesen Gefangenen.

Israel hat auch angekündigt, sich aus fünf Städten im Westjordanland zurückzuziehen.

Es handelt sich nicht um einen richtigen Rückzug, es ist ein Trick. Sollten die Israelis es für ihre Sicherheit als notwendig erachten, können ihre Streitkräfte jederzeit zurückkehren. Wir fordern einen Rückzug auf die Linien vom 28. September 2000 vor Ausbruch der zweiten Intifada. So steht es auch in der Roadmap. Ein anderes Problem für die Palästinenser sind die 174 fixen Checkpoints und die täglich mehr als 500 temporären Checkpoints. Die jetzigen Schritte der Israelis sind kleine Schritte und weniger als das, was die Roadmap vorsieht.

Beim Gipfeltreffen von Scharm al-Scheich hat Abbas von einem Ende aller Gewaltakte gesprochen, Scharon von einem Ende aller militärischen Aktivität. Ist das ein fairer Ansatz?

Das Hauptproblem ist nicht die Gewalt, sondern die Besetzung und was währenddessen geschieht. Darum müssen wir uns auf die Endstatus-Fragen konzentrieren, aber in Scharm al-Scheich ist nicht einmal über die Roadmap gesprochen worden. Das erste Stadium der Roadmap sieht einen Stopp der Siedlungsaktivität vor, dazu einen israelischen Rückzug. In Scharm al-Scheich hingegen hat Scharon davon gesprochen, dass der palästinensische Widerstand zuerst beendet werden müsse. Dieser richtet sich aber gegen die Besetzung.

Wie wirksam ist die Roadmap? Im Mai 2003 hat Israel 14 Bedingungen an sie geknüpft.

Das ist das Problem. Scharon hat eine eigene israelische Roadmap, er meint nicht die Roadmap des Nahost-Quartetts. Daraus ergibt sich unser Dilemma: Wir wissen nicht, wie sein nächster Schritt aussehen wird.

Eine Feuerpause ist eine zentrale israelische Forderung. Abbas hat ein Ende der Angriffe ohne die Zustimmung von Hamas und dem islamischen Dschihad versprochen. Wie konnte Abbas die Hamas nach dem Bruch der Feuerpause davon überzeugen, sie zu respektieren?

Hamas hat ihre Politik verändert und möchte an der palästinensischen Regierung beteiligt sein. Sie hat nun zugestimmt, einen palästinensischen Staat im Gaza-Streifen und im Westjordanland zu schaffen. Einen Waffenstillstand hat sie schon vor 15 Jahren befürwortet. Ahmed Jassin, einer der Hamas-Führer, hat vor seiner Ermordung gesagt, er könne einen Waffenstillstand nicht als Teil eines Friedensabkommens bejahen, sondern nur als Teil einer von Israel geschaffenen Realität.

Warum hat Hamas sich verändert?

Das palästinensische Volk hat sich verändert, es ist von den militärischen Aktionen erschöpft. Außerdem hat die israelische Regierung etwa 1.600 Hamas-Mitglieder umgebracht. Es ist nun schwierig für Hamas weiterzumachen. Darüber hinaus üben die Regime in Syrien, Libanon, Ägypten und Saudi-Arabien mehr Druck auf Hamas auf und sind mit Geldmitteln zurückhaltender geworden.

Heißt das auch, Hamas wird keine Gewalt mehr anwenden?

Hamas wird zunächst, wenn sie an der Regierung beteiligt ist, keine Gewalt anwenden. Danach hängt es davon ab, wie die israelische Regierung sich verhalten wird. Wenn die Israelis sich tatsächlich zurückziehen, wird Hamas sicher nicht zu Gewalt greifen. Aber wenn die Israelis nicht zu diesem Schritt bereit sind, dann werden die militanten Gruppen mit ihrem Widerstand fortfahren. Das Kriterium ist das, was auf dem Boden geschieht.

Ist eine Entwaffnung der militanten Gruppen realistisch?

Das wird schwierig werden, aber das Problem kann gelöst werden, weil die politischen Gruppen ihre Legitimität vom Volk erhalten haben. Die Menschen wollen jetzt Veränderungen.

Ist Scharons Rückzugsplan ein Zeichen dafür, dass er sich geändert hat?

Ja, aber es ist eine clevere Art von Veränderung, die keinen Frieden bringen wird. Scharon täuscht die Israelis, die Palästinenser und die ganze Welt, wenn er vorgibt, sich geändert zu haben. Tatsächlich will er nur einen schwachen palästinensischen Staat erlauben, den er kontrollieren kann. Sein Plan ist ein gefährlicher Plan. Wir müssen die Roadmap und seinen Plan miteinander verbinden, anstatt sie voneinander zu trennen.

Kann man nun vom Ende der Intifada sprechen?

Davon zu sprechen halte ich für übereilt. Die Intifada existiert nicht nur in militärischer, sondern auch in anderer Form. Ihr wirkliches Ende hängt davon ab, ob und wie die israelische Regierung den palästinensischen Präsidenten Abu Masen unterstützt. Wenn sie fortfährt, Siedlungen und die Sicherheitsmauer zu bauen, dann wird diese Feuerpause genau wie die vom Juni 2003 scheitern.

FRAGEN: MONIKA JUNG-MOUNIB