Aber hier leben, nein danke

„Big Brother“: Am Montag endet die fünfte Staffel, für die sechste ziehen Kameras samt Bewohnern nun in ein eigenes Dorf mit Bauernhof, Autowerkstatt und Modelabel. Eine Vorabbesichtigung

VON MARTIN WEBER

Manchmal kann schon ein Blick auf Klingelschilder eine Offenbarung sein. „Hiwis“ steht auf jenem, das den schäbigen Eingang von Haus Nr. 3 schmückt, „Chefs“ auf dem, das neben dem Türrahmen von Haus Nr. 9 prangt, und „Bestrafung“ auf einem weiteren, das Haus Nr. 13 adelt. Letzteres klingt nach einer wunderbaren Melange aus Angst und Neugier, aber vorerst ist das Gebot der Stunde: Geduld haben. Und dann: Enttäuschung verarbeiten. Reingucken verboten.

Wir befinden uns in Köln-Ossendorf, der Ort ist ohnehin schon ungastlich, und angesichts des winternasskalten Wetters ist er vor allem eins: richtiggehend fies. Insofern ist er nachgerade prädestiniert für das, was RTL 2 hier ausgeheckt hat: Das wirklich wahre Leben im wirklich wahren Fernsehen geht noch länger. Nach dem Erfolg der fünften, justament in den letzten Zügen liegenden Staffel ist es eine materiell außerordentlich nachvollziehbare Idee, dass Nivellierungsrädchen noch ein bisschen weiter nach unten zu drehen. Und genau das passiert ab dem 1. März: Dann heißt es „Big Brother forever“, mit 16 Bewohnern, die, wie bekannt und bewährt, in „reich“, „normal“ und „arm“ eingeteilt werden.

„Wir haben eine großartige Sensation gebaut“, sagt Moderatorin Ruth Moschner. „Das Leben draußen und drinnen gleicht sich immer mehr an“, sagt der Delegated Producer Rainer Laux hinter seiner blau getönten Produzentenbrille, „wir machen GZSZ in echt“, das klingt groß, das ist groß. Und schließlich: „Wir haben das Fernsehen in eine neue Dimension geführt“, sagt die RTL 2-Unterhaltungschefin Katja Hofem-Best, „so die Zuschauer und Gott wollen, wird ‚Big Brother‘ ewig laufen“. Und zumindest die Zuschauer wollen: Die RTL 2-Blase hat Erfolg, da kann man es Frau Hofem-Best nicht mal verübeln, dass sie an den ganzen Quatsch glaubt. Und überhaupt: Ist Gott jetzt Programmdirektor? Womöglich mit eigenem Werbeetat?

Man weiß das nicht so genau. Unstrittig ist indes: Der Armenbereich schaut nicht nach Hartz IV aus; der stammt, unter anderem ausgestattet mit einem Waschzuber aus Zinn, eher aus einer noch ausstehenden nächstgrößeren Reform des Sozialstaats. Unzweifelhaft ist des Weiteren, dass am 1. März zunächst 11 Bewohner einziehen, später wird die Zahl der BB-Insassen auf 16 aufgestockt. Beworben hatten sich 26.000. Was auch noch sicher ist: Noch nie war ein menschlicher Mikrokosmos derart mikro und komprimiert: Um den Dorfmarktplatz herum tummeln sich ein Miniaturbauernhof (zwei Kühe, zwei Schweine, zwei Ziegen, ein Hahn, zehn Hühner), eine Autowerkstatt, ein Modelabel; in all diesen Einrichtungen müssen die Bewohner dort anfallende Arbeiten erledigen. Wahnsinn. Fabelhaft. Wenn nicht gar: neudimensional.

Der schönste Wahnsinn aber kommt noch: Die Ausreise aus dem BB-Dorf klappt reibungslos. Beim Verlassen des schönen neuen Dorfes bekommt der Journalist einen Präsentkorb überreicht, in dem sich neben ungarischer Salami und anderen Fressalien auch eine Flasche Kölsch findet. Die wird nicht reichen, um das Elend von „Big Brother“ wegzusaufen. Macht ja nichts: Wir packen die gesamte Bagage von RTL 2 in Haus Nr. 13. Für immer. Und die Sache ist geritzt.