NEBENSACHEN AUS PEKING VON SVEN HANSEN
: Wir hatten die Schweinegrippe an Bord

Maskierte setzen Kopfschüsse mit ihren Hightechthermometern

Beim Anflug auf Peking kündigt der Pilot an, was uns am Flughafen erwartet. Zur Bekämpfung von H1N1, wie das im Volksmund Schweinegrippe genannte Virus heißt, müsse jede einreisende Person ein Formular ausfüllen. Darin wird gefragt, ob wir unter Schnupfen, Husten, Fieber, Atembeschwerden oder Übelkeit litten. Dann werde Fieber gemessen.

Nach der Landung kommen Beamte mit Atemschutzmasken an Bord und zielen jedem Passagier mit einem Hightechthermometer, das wie eine Science-Fiction-Pistole aussieht, auf die Stirn. So wollen sie ein Symptom für das kürzlich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärte H1N1-Virus ermitteln.

Zwei Augen über einer Atemschutzmaske mustern mich. Dann ist mein Nachbar dran. Wir haben Glück. Die Frau auf Sitz 35 G nicht. Bei ihr zeigt das Instrument Fieber. Auch der zweite Kopfschuss ist ein Treffer. Schnell bildet sich um sie ein Pulk Maskierter, die plötzlich zum klassischen Quecksilberthermometer greifen. Die Frau muss es unter den Arm klemmen. Die Temperatur wird abgelesen und das Quecksilber von einer Beamtin am langen Arm runtergeschlagen, um erneut zu messen. Es folgen Diskussionen.

Wir in der Nähe sitzenden Passagiere müssen plötzlich unsere Gesundheitsformulare abgeben und einen neuen Zettel ausfüllen, überschrieben mit „Für Ihre Gesundheit“. Wir sollen ihn zwei Wochen mit uns führen und dem Arzt vorlegen, wenn wir wegen obiger Beschwerden behandelt würden. Die Maskierten diskutieren aufgeregt, als ob sie erstmals erhöhte Temperatur festgestellt hätten. Gelegentlich telefonieren sie. Nach einer Stunde wird Frau 35 G plötzlich samt allen anderen Passagieren entlassen.

Im Flughafengebäude, wo nur maskiertes Personal ist, müssen alle einen Temperaturscanner passieren und ihre Gesundheitsformulare an einem Schalter abgeben, vor dem sich lange Schlangen bilden. Nur wir, die in der Nähe von 35 G saßen und das erste Formular längst nicht mehr haben, dürfen gleich weiter. Offenbar hatten wir und Frau 35 G Glück. Denn wie das US-Außenministerium kürzlich warnte, würde China Menschen unter H1N1-Verdacht zum Teil willkürlich in Quarantäne stecken. Diese Erfahrung musste auch New Orleans’ Bürgermeister Ray Nagin machen. Bei ihm wurden aus einer Zwischenlandung in China vier Tage Zwangsquarantäne, weil jemand neben ihm H1N1-Symptome gehabt haben soll.

Nachdem China 2003 den Ausbruch der Lungenkrankheit Sars lange verheimlicht und so deren Gefahr vergrößert hat, wollen seine Behörden sich nun wohl nichts vorwerfen lassen. Immerhin litt das Land schon häufig an der Vogelgrippe.

Dabei zählt China derzeit nur 1.089 der weltweit 59.814 H1N1-Fälle, wie die WHO am 26. Juni mitteilte. Von den weltweit 263 Todesfällen gab es übrigens keinen in der Volksrepublik China.

Inzwischen bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ist H1N1 hier mit 333 Fällen deutlich stärker verbreitet als in China. Da ich ja mal in der Nähe einer Person saß, wegen deren mutmaßlicher Krankheit ein Flugzeug eine ganze Stunde aufgehalten wurde, könnte ich ein Fall für hiesige Behörden sein. Doch bei der Ankunft in Frankfurt begrüßen mich weder maskierte Beamte, noch wird meine Temperatur gemessen, noch muss ich Formulare ausfüllen. Schweinegrippe interessiert kein Schwein. Spinnen die Deutschen oder die Chinesen?