Haufenweise Pulver

Griechische Tragödie trifft auf polnischen Postkommunismus: Schüler spielen „Schneeweiß und Russenrot“ nach Dorata Maslowskas Roman in den Sophiensælen

Es ist hell. Viel zu hell. Das Licht zerschneidet die Luft, zerfurcht Gesichter, bringt alles heraus, was in ihnen schläft. Hass. Verzweiflung. Für Romantik ist hier kein Platz. Es herrscht ein polnisch-russischer Krieg unter weiß-roter Fahne in der Inszenierung von „Schneeweiß und Russenrot“ nach einem Roman von Dorata Maslowska.

Auf der Bühne in den Sophiensälen öffnet sich der Blick in ein ostpolnisches Dorf. Der vielberufene Krieg ist vor allem innerlich, die Jugend zerrissen zwischen Rebellion und Resignation. Als wäre das nicht genug, wird Andrzej auch noch von Magda verlassen. Was sie ihm per Botin ausrichten lässt, durch Arleta, die lässig über die Bar gelehnt ihren Kaugummi martert. Glühend vor Eifersucht und Kränkung macht sich Andrzej auf die Suche nach Speed und Liebe – und er findet verschiedene Frauen, verliert seinen Hund, fährt ans Meer, hat Sex, überfällt McDonald’s und versackt im paranoiden Drogenwahn, bis er schließlich, nach philosophischen Einsichten, komplett gegen die Wand knallt.

Dorata Maslowska schrieb ihren Debütroman mit 18 Jahren, während ihres Abiturs, in nur wenigen Wochen. Das Porträt der jugendlichen Subkultur in einer heutigen polnischen Stadt – abgeklärt, rotzig, schonungslos und dabei selbstironisch – zog im letzten Jahr wie ein Erdbeben durch die Literaturlandschaft. Die Autorin wurde für ihre postmodern mit Sprache spielende, apokalyptisch delirierende Milieustudie der „Generation Nichts“ mit dem Polityka-Preis und dem Nike-Preis ausgezeichnet.

Hier im Hochzeitssaal der Sophiensæle wird aus dem endlos assoziierenden, monologisch ringenden Gefasel der jungen Protagonisten ein skandierender Chor, der die Worte ausstößt wie eine automatische Waffe. Der Chor der klassischen griechischen Tragödie trifft auf einen Bewusstseinsstrom des polnischen Postkommunismus.

Es ist die dritte Produktion der Sophiensæle mit jugendlichen Darstellern und die erste der sophiensæle.jugendbewegung. Gemeinsam mit sieben Berliner Schülern hat der Regisseur Henning Fritsch, dessen Inszenierungen wiederholt zu Schultheatertreffen geladen wurden, ein durchweg überzeugendes, bildreiches und schnelles Stück erarbeitet. Der Text wurde prägnant und intelligent gekürzt, die szenische Umsetzung in einem mehrmonatigen Probenprozess gelungen entwickelt.

Getragen wird die Inszenierung durch die starke Leistung der Darsteller. Gekleidet in einer Mischung aus braunbeigem Elend und dem Glittergold der reichen Welt, wollen sie leben und lieben – und finden sich eingekeilt zwischen Koks und Kapitalismus, Armut und Fast Food. Die Ausstattung (Carolyn Hoven) ist sparsam und präzise, die Videoeinspielungen (Timm Ringewaldt) vermitteln atmosphärische Dichte. Spielfreude, haufenweise weißes Pulver und lustvolles Encounter zwischen Gerotze und Gekotze brechen die jugendlichen Dramen und bringen sie dabei gleichzeitig mit untergründigem Schmerz auf den Punkt. ANNETTE JAHN

6. März 16 Uhr, 8. und 9. März jeweils um 11 Uhr in den Sophiensælen