Kalligraphische Zeichen

Mittlerin zwischen arabischer und jüdischer Kultur: Die Batsheva Dance Company auf Kampnagel

von Marga Wolff

Einmal im Jahr findet im israelischen Karmiel ein Tanzfestival statt, das die ganze Stadt in einen Taumel versetzt. Die Menschen tanzen auf den Straßen und Plätzen, wie ein Virus greift die Begeisterung um sich. Compagnien wie die Batsheva Dance Company, die jetzt auf Kampnagel gastiert, füllen ganze Stadien. Doch das ist nur ein Aspekt von Ansteckung, wenn Batshevas Direktor und Chefchoreograph Ohad Naharin sein Stück Naharin‘s Virus nennt. Denn nicht zuletzt mit dieser Produktion hat sich das Ensemble, Aushängeschild des modernen Tanzes in Israel, als Vermittler zwischen jüdischer und arabischer Kultur im eigenen Land einen Namen gemacht. Außerdem bescherte Naharin‘s Virus ihrem Schöpfer einen weiteren künstlerischen Welterfolg und ist jetzt in Hamburg zu Gast.

Naharin‘s Virus ist ein dynamisches Stück von ansteckender Emotionalität, ganz im bewährten energetisch expressiven und technisch ausgefeilten Tanzstil des Choreographen, mit dem er bereits in den 80ern in Den Haag auf sich aufmerksam machte. Die Basis bildet Peter Handkes Publikumsbeschimpfung: „Handkes Stück befreit die Bühne von allen Erwartungen, von allen theatralen Konventionen. Ein Raum, eine Leere entsteht: und genau dort findet meine Kreation statt“, erklärt Naharin.

Der Zuschreibung von Bedeutungen verweigert sich der Choreograph grundsätzlich. Antworten finden sich bei ihm eher im Entstehungsprozess einer Arbeit. Bedeutend ist für Naharin‘s Virus vor allem, dass das Stück in Zusammenarbeit mit dem arabischen Komponisten und Musiker Habib alla Jamal entstand. Die Vorgeschichte zu dieser Kooperation ereignete sich im Dezember 2000, kurz nach Ausbruch blutiger Unruhen in Palästina. Batsheva tourte gerade zum zehnjährigen Jubiläum der Direktion des heute 52-jährigen Ohad Naharin durch das Land und entschied sich, trotz Unruhen in Nazareth eine Aufführung für ein ausschließlich arabisches Publikum zu geben. Zum Dank packten die Zuschauer später eigene Instrumente aus und spielten für die Tänzer. Und Ohad Naharin, der für Virus ursprünglich jüdische Klezmer-Musik im Ohr hatte, fand in der arabischen Musik „das, wonach ich eigentlich gesucht hatte“.

Wahrscheinlich ist es unmöglich, sich als Künstler in Israel aus der Politik herauszuhalten. Dass Naharin die Choreographie komplizierter Schritte auf dem politischen Parkett ebenso beherrscht wie auf der Bühne, ohne Kompromisse einzugehen, hat er früher schon bewiesen: 1997 war Batsheva eingeladen, bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Gründung Israels zu tanzen. Doch den Ultra-Religiösen in der Regierung missfiel plötzlich die leichte Bekleidung der Tänzer. Naharin ging auf die Bedingung, die Blößen zu bedecken ein und kündigte zugleich seinen Rücktritt als Direktor der Batsheva Dance Company an. Daraufhin verweigerten die Tänzer den Auftritt. Naharin war Diplomat geblieben – und hält seine Leitungsposition bis heute.

Als die Batsheva Dance Company 1998 zur Eröffnung des Internationalen Sommertheaterfestivals zuletzt in der Hamburger Staatsoper gastierte, hatte sie mit Sabotage Baby denn auch ein wahres Höllenspektakel mit bizarren Fabelwesen auf Stelzen aufgeführt. Naharin‘s Virus ist kühler und abstrakter. Aber auch ausgefeilter in den Bewegungen, die vor einer bekritzelten Wandtafel wie kalligraphische Zeichen anmuten. Die Strenge mag aber auch an den seltsamen Trikots liegen, deren überlange Ärmel die Hände der 16 Tänzer in Fäustlinge einhüllen. Das erinnert trotz ausholender Armschwünge an eine Zwangsjacke.

9., 11.+12. 3., 20 Uhr, Kampnagel