Prekär am Prunkschloss

ZERRISSENHEIT Die Französische Filmwoche zeigt 18 Filme – Pierre Schoellers Debüt und Sophie Fillières Komödie deuten ein geheimes Motto an

Wenn die Filme der 9. Französischen Filmwoche eines nicht sein wollen, dann dies: französisch. Das Gefühl der Heimatlosigkeit und Entfremdung zieht sich leitmotivisch durch viele der ausgewählten Produktionen, bis hinein in die Komödien.

Unter dem Blick der Kamera zerfällt die monumentale Kultur- und Naturlandschaft zur planen und oft grotesken Kulisse, in die sich der Einzelne nicht mehr einfügt. Die Seelenlandschaften der Protagonisten besitzen größere Resonanzräume als jeder Palastsaal, sie bergen tiefere Abgründe als jede mediterrane Schlucht.

In Pierre Schoellers Debütfilm „Versailles“ – angesiedelt in einer fiktiv verschobenen Gegenwart – bildet das barocke Prunkschloss des Sonnenkönigs Louis XIV. einen surrealen Kontrast zum armseligen Leben in den umgebenden Wäldern, in die sich das Pariser Prekariat zurückgezogen hat. In der Republik der zwei Millionen Arbeitslosen scheint die Sonne niemals aufzugehen. Fast alle Szenen des Films spielen in finsterer Nacht und sind dabei umso eindringlicher: Wie der fünfjährige Enzo (Max Baissette de Malglaive) zwischen den Autolichtern von Paris mit seiner jungen Mutter (Judith Chemla) ums Überleben kämpft, wie er im Schein des Waldfeuers bei einem mürrischen Aussteiger Unterschlupf findet (Guillaume Depardieu in seiner letzten Rolle), ehe er im Morgengrauen von seiner Mutter verlassen wird.

Schoeller inszeniert die zornige Zerrissenheit des Eremiten zwischen Freiheitsdrang und ungewollten Vaterpflichten ebenso gekonnt wie die Perspektive des schweigsamen Kindes, für das die Odyssee ein trauriges Märchen ist: In einer Sequenz läuft Enzo die schier unendliche Freitreppe Versailles hinauf, um einen Portier in barocker Tracht, den er für den König hält, um Hilfe für seinen kranken Ersatzvater zu bitten. Die Welten verschmelzen – ausnahmsweise – in gleißendem Sonnenlicht.

Heimatlos auf ganz andere Weise ist die Schriftstellerin Célimène in Sophie Fillières Komödie „Un chat un chat“. Wie ihre folienverhangene Wohnung ist auch ihr Leben ein Provisorium, in dem Wunsch und Wirklichkeit immer stärker auseinander driften. Célimène flüchtet sich in die fremde Identität einer fiktiven „Nathalie“ und reduziert sich selbst zu einem Niemand an einem Un-Ort: Sie spricht nicht, schreibt nicht, liest nicht, liebt nicht, wohnt nicht, kultiviert die Weltflucht. Wenn sie mit Mac und Marlboro vor einer leeren Datei im aseptisch weißen Schlafzimmer sitzt, zitiert Fillière den Mythos vom Originalgenie, das nur in vollkommener Abgeschiedenheit schreiben kann, nur um ihn gleich zu durchbrechen.

Denn wie in „Versaille“ stellt sich ein jüngeres Alter Ego der Isolation der Protagonistin entgegen: Wie aus dem Nichts taucht die 17-jährige Anaïs (Agathe Bonitzer) im Leben der Autorin auf. Zwischen den Frauen entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem beide die Katze sein wollen: „un chat un chat“. Anaïs, die sich als Figur in Célimènes noch ungeschriebenem Roman aufdrängt, greift bald selbst als Doppelgängerin ins Leben der Älteren ein, „vertritt“ sie auf ihrer Geburtstagsparty, öffnet ihre Liebesbriefe und rezitiert diese auf offener Straße. Ihre ambivalente Rolle drückt Anaïs selbst mit einem Wortwitz aus, wenn sie zu Célimènes Mutter sagt: „Je suis votre fille.“ – „Ich folge ihrer Tochter“ oder aber „Ich bin ihre Tochter“. CHRISTINA FELSCHEN

■ 9. Französische Filmwoche, bis 8. Juli, Programm unter www.franzoesische-filmwoche.de