Das Ende der Nutzlosigkeit

ELTERNZEIT Der fütternde Vater ist kein Exot mehr. Er ist jetzt eine Zielgruppe, die dringend Hilfe braucht. Höchste Zeit für „Wir Wickelprofis“ – ein Ratgeber von Männern für Männer

Die Zahlen: Im Jahr 2007, dem ersten Jahr mit staatlichem Elterngeld, wurden in Deutschland 684.862 Kinder geboren. Für die Erziehung dieser Kinder wurden bis Juni 2008 751.941 Elterngeldanträge bewilligt – die Zahl der Anträge ist höher als die der Kinder, weil in vielen Fällen beide Eltern einen eigenen Antrag gestellt haben. 103.152 Väter haben in diesem Zeitraum erfolgreich Elterngeld beantragt – von den Müttern waren es 648.789, also mehr als sechsmal so viele. (Quelle: Bundesamt für Statistik, aktuellste Zahlen)

Das Buch: „Wir Wickelprofis. So wird die Elternzeit für Väter zum Kinderspiel“ von Markus Kamrad, Yassin Musharbash, Jonas Viering, Heyne Verlag, 270 Seiten, 8,95 Euro.

VON STEFAN KUZMANY

Es ist nichts weniger als eine Sensation: Männer zeugen Kinder und kümmern sich dann auch noch um sie. Bis vor Kurzem handelte es sich bei solch unerhörten Vorkommnissen um spezialgelagerte Sonderfälle. Man hatte schon mal davon gehört, das schon. Aber normal war das nicht. Da gab es diesen Vater, den Freund einer Freundin einer Bekannten, und der, man hörte und staunte, hatte sich ein ganzes Jahr freigenommen, um sich um das gemeinsame Baby zu kümmern. Ein seltsamer Typ aus einer anderen Welt. Erziehende Männer, das waren Exoten. Man wollte unbedingt mehr über sie erfahren.

Also erschienen Bücher, von erziehenden Männern geschrieben, die darüber berichteten, wie das so ist, als erziehender Mann. Und die Leserschaft lernte: Man gerät in seltsame, komische Situationen – wie Axel Hacke sie in seinem Bestseller „Der kleine Erziehungsberater“ beschrieben hat. Sie lernte: „Das Leben ist ein Kinderzimmer“, darin wird „große und kleine Politik“ gemacht, aber selbstverständlich „liebenswert chaotisch“ – so hat es der Ex-taz-Kollege Bernhard Pötter jahrelang in seiner „Kinder“-Kolumne in dieser Zeitung (und später in einem Buch) beschrieben. Die Leserschaft lernte auch: Es kann ganz schön anstrengend, aber auch romantisch und anregend sein, als Wessi mit einer Ostfrau den Nachwuchs zu erziehen – so hat es ein weiterer Ex-tazler aufgeschrieben: Robin Alexander in „Familie für Anfänger. Ein Überlebenshandbuch“.

Als „Schreibtischväter“ hat Wiglaf Droste solche Autoren einmal verspottet. Das soll hier nicht geschehen. Denn sie haben nette Bücher geschrieben, die Spaß machen, die sich flott lesen lassen, und, ja, die auch Lust darauf machen, sich auf das Abenteuer Familie einzulassen.

Dummerweise sind diese Bücher aber vollkommen nutzlos, wenn es dann so weit ist. Das Kind ist da, die Mutter wieder im Büro, der Vater daheim, die Windel explodiert, Flüssiges ergießt sich auf das Sofa, das Kind schreit. Hat es Hunger? Hat es Durst? Ist es müde? Oder muss es zum Arzt? Was tun, verdammt noch mal? Ein Blick ins „Überlebenshandbuch“ zeigt zwar beispielsweise, dass dessen Autor sich manchmal ein Weißbier wünscht, wenn er mit dem Kind auf dem Spielplatz sitzt. Höchst nachvollziehbar. Aber nicht besonders hilfreich für den Alltag mit Säugling.

Dabei ist praktischer Rat dringend nötig. Spätestens seit die Heilige Ursula von der Leyen (CDU) die Familienplanung der Nation übernommen hat, ist die Zahl der hilfebedürftigen Väter stark gestiegen. Im Elterngeldbericht der Bundesregierung vom Oktober 2008 ist zu lesen, dass im ersten Quartal 2007 16 Prozent aller frischen Väter erfolgreich Elterngeld beantragt haben – sich also für mindestens zwei Monate zur Kinderbetreuung aus dem Beruf verabschiedet haben. Vor Einführung des Elterngeldes waren nur 3,5 Prozent der Väter in Elternzeit gegangen. Man darf annehmen, dass die Zahl der betreuenden Väter seither noch weiter gestiegen ist. Der wickelnde Vater ist kein Exot mehr. Er ist jetzt eine Zielgruppe.

An diese Zielgruppe wendet sich das Buch „Wir Wickelprofis“. „So wird die Elternzeit für Väter zum Kinderspiel“, versprechen die drei Autoren Markus Kamrad, Yassin Musharbash und Jonas Viering auf dem Cover. „Wir Wickelprofis“?

Mit so einem großsprecherischen Titel in der Hand sollte sich niemand auf dem Spielplatz blicken lassen, es sei denn, er wollte sich sich vor den in Überzahl anwesenden Müttern lächerlich machen. Packt man es aber in einen neutralen Schutzumschlag, ist die Lektüre gefahrlos möglich. Und wohltuend sachlich. Zwar berichten auch Kamrad, Musharbash und Viering von ihren persönlichen Erlebnissen, aber nie in der ersten Person. Und nie gefühlig. Der Erfahrungsbericht ist hier nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Darstellung dreier unterschiedlicher Herangehensweisen an praktische Probleme: Wie bringe ich es meinem Chef bei, dass er bald auf meine wertvolle Arbeitskraft verzichten muss – aber bitte nur befristet? Wie regle ich den Übergang vom Beruf in die Elternzeit? Und wie meistere ich die Langeweile, die sich zwangsläufig einstellt, wenn der Glücksrausch der ersten Wochen mit dem Säugling abgeklungen ist, das kleine Wesen aber leider immer noch nicht Schach spielen kann?

Was tut man, wenn das kleine Wesen nach ein paar Wochen immer noch nicht ordentlich Schach spielen kann?

Es gibt Antworten. Den drei Autoren ist ein von Ratschlägen strotzendes Sachbuch gelungen, flankiert von Info-Kästchen: „Vor dem Gespräch mit dem Chef den eigenen Rechtsanspruch abklären“ steht da drin, oder: „Die Kinderperspektive einnehmen, um Sicherheitslücken zu entdecken“. Wahrscheinlich sind Männer so: Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Alles ist machbar. Was singe ich dem Kind vor? „Lieder von deutschen Popstars aus dem Internet ausdrucken.“ Was kann ich dagegen tun, dass ich mit Kind immer überall zu spät komme? „Immer überlegen, wie lange was wohl dauert.“ Außerdem sollte man öfter mal mit seiner Partnerin sprechen und sich gut mit ihr abstimmen. Ach so. Nun ja.

Vielleicht liegt es daran, dass der Rezensent „Wir Wickelprofis“ gelesen hat, als er seine zwei Vatermonate schon hinter sich hatte, aber er kann aus eigener Erfahrung berichten, dass es erstaunlicherweise möglich ist, den Vateralltag sogar ganz ohne Ratgeber zu meistern.

Eine volle Windel? Wird gewechselt. Kind schreit wie am Spieß? Wird in den Arm genommen. Was wird gesungen? Was man gerne singt. Und wer hilft bei all den kleinen Problemen und großen Katastrophen, die auch bei perfekter Planung immer wieder auftreten? Niemand hilft. Da musst du durch.