Schulzwang und Schwachstellen

Nach Jessicas Tod: Projektgruppe der Justizbehörde soll „Informationsprobleme“ der Jugendhilfe aufarbeiten. Mutter hielt schon ihr erstes Kind „in Dunkelhaft“

Der Hungertod der siebenjährigen Jessica weist auch auf Informationsprobleme der Jugendhilfe hin. Wie Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierg (parteilos) gestern im Rathaus erklärte, hatte die Mutter bereits ihr erstes von vier Kindern „teilweise in Dunkelhaft“ gehalten. Als der Junge mit acht Monaten zur Adoption freigegeben wurde, habe er „Entwicklungsverzögerungen“ gehabt, die darauf schließen ließen. Auch das zweite und dritte Kind habe die Frau nach Aussagen ihres Ehemanns nicht richtig versorgt – dieser hatte daraufhin das Sorgerecht erhalten. All dies war beim Jugendamt nicht vermerkt, als die Mutter 1997 ihr viertes Kind bekam.

Das Problem sei, so Dinges-Dierig, dass in Deutschland nur „kindbezogene Akten“ geführt würden, die geschlossen werden, sowie das Kind in sicheren Händen ist. Dinges-Dierig: „Es gibt nicht eine Akte über die Mutter.“

Die Folge: Selbst wenn die Schulbehörde dem Jugendamt das Fernbleiben Jessicas von der Schule gemeldet hätte, hätte dieses „keinen dringenden Anlass verspürt, hier mit verschärften Maßnahmen vorzugehen“.

In einer Großstadt wie Hamburg, erklärte vorab Justizsenator Roger Kusch (CDU), gebe es „unterschiedliche Organe der Jugendhilfe, die Informationsprobleme untereinander haben“. Oft würden Informationen mit dem Hinweis auf Datenschutz nicht weitergereicht und so „nur Unwilligkeit“ kaschiert. Eine behördenübergreifende Projektgruppe unter Leitung von Justizamtsleiter Michael Stallbaum solle eine „Schwachstellenanalyse“ erarbeiten und prüfen, „welche Daten Mitarbeiter weiterleiten können“. Ergebnisse soll die Gruppe in drei Monaten vorlegen. Eine denkbare Folge sei, dass es künftig Familienakten gibt.

Bereits am Vortag hatte Dinges-Dierig erklärt, dass Schulzwang und eine zentrale Schülerdatei eingeführt werden sollen. Zudem werde ab jetzt immer das Jugendamt informiert, wenn Kinder der Schule fernblieben. Die SPD erklärte gestern, Dinges-Dierig lenke von „Versäumnissen“ ab, denn es hätten schon auf Grundlage der bestehenden Gesetze Jugend-, Melde- und Sozialamt eingeschaltet werden müssen. GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch nannte den Schulzwang einen „Schnellschuss aus der Not“, begrüßte aber die Idee der Familienakten. „Hilfe aus einer Hand ist eine alte Forderung der GAL.“ Kaija Kutter