New York is in Germany

Ost gegen West, FBI gegen Stasi-Spitzel und Terroristen: der 2.484. „Jerry Cotton“ ist ein klassischer Nachkriegsberlinroman, der trotzdem im Hier und Jetzt spielt. Vor allem besticht er durch seine unprätentiösen Sätze und durch seine Brutalität

Ost und West liefern sich in der Hauptstadt noch einmal einen Schaukampf

VON JAN BRANDT

Jerry Cotton ist seit mehr als fünfzig Jahren Mitte dreißig. Er hat graue Schläfen und ein paar Sorgenfalten bekommen. Er hat vorübergehend seinen Dienst beim FBI quittiert, um Rache an den Mördern seiner Geliebten zu nehmen. Sein Jaguar E-Type ist gegen einen gewöhnlichen, leicht zerbeulten Firmenwagen der Marke Ford ausgetauscht worden und seine 38er Smith & Wesson gegen eine Sig Sauer P 226. Und da das Verbrechen inzwischen global agiert, muss Cotton sein geliebtes New York hin und wieder verlassen und andere, ungeliebte, provinziellere Städte aufsuchen.

Gerade ist mit „Wenn es Nacht wird in Berlin“ Band 2.484 der Krimireihe „Jerry Cotton“ erschienen, und es ist für Cotton gut zu wissen, dass es zwischen den beiden Metropolen eine direkte gastronomische Verbindung zu geben scheint, dass es eine „Greenwich Bar“, eine „Hudson Bar“ und eine „New York Bar“ eben auch in Berlin gibt. Das macht den Trennungsschmerz für den so genannten G-man, den Government-man, erträglich und den Auftrag wesentlich angenehmer.

Erst wird Jerry Cotton nach Berlin geschickt, um vor Veteranen eine Rede zu halten. Im Rathaus Schöneberg soll zum 55. Jahrestag der Blockade ein Festakt stattfinden. Dann meldet sich ein Informant, der Marvin Jankovitz, einer der zehn weltweit meist gesuchten Terroristen, in Kreuzberg gesehen haben will. Ein Grund mehr für Cotton und seinen Kollegen Phil Decker, nach Europa zu fliegen.

Kaum angekommen, werden die beiden ausgerechnet in der „New York Bar“ in eine Schießerei verwickelt. Und es stellt sich heraus, dass der Besitzer des Hotels, in dem sie abgestiegen sind, mit Jankovitz unter einer Decke steckt und ihrem Gegner wichtige Hinweise liefert. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd durch Parkhäuser, über Hauptverkehrsstraßen und Hinterhöfe. Erzählt wird die Geschichte aus zwei Perspektiven, aus der von Jerry Cotton und der von Marvin Jankovitz, und beide belauern jeden Schritt des anderen argwöhnisch. Mit jeder Seite verkürzt sich der Abstand zwischen ihnen – und zwischen den Szenen. Bis die Stränge am Ende im Showdown zusammenlaufen.

Der Kalte Krieg ist zwar vorbei, aber Ost und West liefern sich in der deutschen Hauptstadt noch einmal einen Schaukampf. Das FBI tritt gegen ehemalige Stasi-Spitzel und osteuropäische Bombenleger an, die Luftbrücke wird zitiert, Rosinenbomber, der Besuch John F. Kennedys und Ronald Reagans Mauerrede, ein klassischer Nachkriegsberlinroman also.

Autorin ist die 30-jährige Corina Bomann aus dem mecklenburgischen Groß-Niendorf. Es ist ihr erster Jerry Cotton. Vorher hat sie für „Lassiter – der härteste Mann seiner Zeit“ und die Reihe „Mitternachtsromane“ geschrieben, Titel wie: „Das heiße Girl aus Silverado“, „Ein Weib wie ein Vulkan“ oder „Die Rache des Blutdämons“, insgesamt mehr als hundert Einzelhefte.

Elf Jahre arbeitete Corina Bomann als Zahnarzthelferin, bis sie ein Manuskript an Bastei-Lübbe nach Bergisch Gladbach schickte. Seit 2002 hat sie sich ganz dem Schreiben gewidmet, und jetzt entsteht in ihrem Büro pro Woche ein weiteres Heft, das sich, wenn es gut läuft, fünfzig- bis sechzigtausendmal verkauft. Dass sie eine von hundertfünfzig Jerry-Cotton-Autoren ist und nicht namentlich genannt wird, macht ihr nichts aus, im Gegenteil: „Wenn ich über den Verlag positives Feedback von Lesern bekomme, dann freue ich mich“, sagt sie. „Weil es nicht nach der Person geht. Weil es vollkommen unparteiisch ist.“

Mit „Wenn es Nacht wird in Berlin“ hat Corina Bomann einen spannenden und literarisch interessanten Miniroman geschrieben, auch wenn ihre Pulp-Fiction-Prosa einige sprachliche Klischees bedient. Türen stehen „sperrangelweit offen“, Pistolen werden wie im Western aus dem Holster gerissen und die Männer, die keine Polizeimarke tragen, haben fast alle „was auf dem Kerbholz“. Aber dann gibt es Szenen, die sind ganz einfach formuliert, ganz schlicht, direkt und brutal: „Der Schuss krachte, und wenig später stanzte die Kugel ein Loch in seine Brust.“ Kurze, unprätentiöse Sätze, kriminelle Playboys und leichte Mädchen im Kampf um Sex, Ruhm und Geld, das ist das Material, aus dem Bomann Geschichten wie die von Jerry Cotton formt, schnelle Geschichten ohne Mitgefühl und Reflexion, aber voller Hoffnung, weil der Held nicht sterben kann, nicht sterben darf, nicht einmal altern darf er, solange es Leser gibt.

„G-man Jerry Cotton – Wenn es Nacht wird in Berlin“, Band 2.484. Bastei-Lübbe, 64 Seiten, 1,35 €