Bauhaus revisited

Was heute wie Kunst aussieht, wollte im Kontext der Ulmer Hochschule für Gestaltung nie anderes sein als praktische Übungen zu Gestaltungsfragen

VON RONALD BERG

Der Name „Hochschule für Gestaltung“ fungiert heute weltweit als eine Art Markenzeichen für deutsche Wertarbeit in Sachen Design – nicht nur in Ulm und um Ulm herum. In Ulm selbst aber wurde der HfG von politischer Seite schon bald der Garaus gemacht. Aber die wenigen Jahre ihrer Existenz von 1953 bis 1968 genügten, um die Ausbildungsstätte zu einem Mythos werden zu lassen. Hierin ähnelt sie dem Bauhaus, dessen inoffizielle Wiedergängerin sie war.

Walter Gropius hatte sogar angeboten, die Institution „bauhaus ulm“ zu nennen. „Hochschule für Gestaltung“ war übrigens der Untertitel des Bauhauses Dessau gewesen. Zur Einweihung des von Gründungsrektor Max Bill entworfenen Gebäudeensembles für die HfG 1955 sprach Gropius dann von einer „organischen Weiterentwicklung“ des Bauhauses. Bill, selbst Bauhaus-Absolvent, hatte eine puristische Architektur aus rohem Beton entworfen, die hoch über der Stadt auf dem Oberen Kuhberg thronte. Die Presse schrieb seinerzeit von einem „zementierten Gefechtsstand, von dem man das Leben, die Schönheit, die Sinnlichkeit kühl anvisiert“.

Die klosterartige Anlage spiegelte ziemlich genau die moralische Rigorosität, mit der an dieser Anstalt Gestaltung begriffen und betrieben wurde. Schon ihr Ursprung verdankte sich einem solchen Impuls: Die HfG gründete in einer von Inge Scholl – der Schwester der NS-Widerständler der „Weißen Rose“ – und deren Mann, dem Gestalter Otl Aicher, intiierten Privatinitiative zum geistigen Wiederaufbau. Der Wohnort des Ehepaars führte zur Wahl von Ulm als Standort der Schule. Die amerikanischen Besatzer, später Bund und Land unterstützten die private Initiative finanziell.

Die HfG war nicht nur in topografischer Hinsicht meilenweit entfernt von den Niederungen des seinerzeitigen Designs, wie sie unten in der Stadt sich im Nierentisch manifestiert haben mögen. In der HfG trug man das Haar gleichmäßig kurz am ganzen Kopf. Die HfG hatte tatsächlich etwas Sektenhaftes, Intellektualistisches und Elitäres.

Das Berliner Kunstgewerbemuseum zeigt jetzt mit der zum 50. Gründungsjubiläum der Schule konzipierte Ausstellung des Ulmer Museums/HfG Archivs, was es mit dem „Ulmer Modell“ auf sich hatte. Anders als viele am Bauhaus verstanden sich die Ulmer nämlich ausdrücklich nicht als Künstler, sondern als Gestalter „industrieller Produkte“ und „bildhafter und sprachlicher Mitteilungen“. Gleichwertige Partner im Produktionsprozess wollten sie sein. Anerkennung und Erfolg der HfG weltweit gründen sich aber wahrscheinlich auf den puristischen Stil der Ulmer Produkte. Dabei war Stil das Letzte, um das es den Ulmer Gestaltern ging. Ihnen ging es um „Zivilisationskultur“, wie Otl Aicher es etwas pathetisch formulierte.

Die Phonogeräte der Firma Braun sind die konkreten Resultate des systemischen Denkes an der HfG. In Form und Farbe auf eine geometrischer Schlichtheit reduziert, werden die einzelnen Komponenten je nach ihrer Funktion als Verstärker, Radio etc. zu einem System zusammengestellt. Ähnlich systemisch funktioniert das bis heute produzierte Stapelgeschirr TC 100, eine Diplomarbeit von Hans (Nick) Roericht von 1958/59. Systemtheorie, Kybernetik, Semiotik und empirische Umfrage zur Bewertung von Gestaltungsanmutungen sollten die Formfindung des Gestalters verwissenschaftlichen und objektivieren.

Die schöpferische Künstlerattitüde war verpönt. Selbst bei den in der Ausstellung vorgestellten Farbfeldmalereien in der Lehre bei Ex-Bauhäusler Josef Albers ging es zunächst einmal schlicht um die Raumwirkung der Farbe. Vieles, was jetzt im Kunstgewerbemuseum wie Kunst aussieht, entpuppt sich im Kontext der HfG als praktische Übung zur Klärung von Gestaltungsfragen. Da wären etwa die Variationen von Kuben mit unterschiedlichen Eckradien oder die in unterschiedliche Gruppierungen zusammengefassten Bohrungen von Lochblenden, die man etwa bei Sprechmuscheln von Telefonen einsetzen kann.

In Ulm war Form nie Selbstzweck; sie hatte funktional zu sein bei möglichst minimalem Aufwand. Bestes Beispiel ist der berühmte Ulmer Hocker von Max Bill, der nur aus drei u-förmig zusammengefügten Brettern und einem hölzernen Stab dazwischen besteht. Man kann auf ihm sitzen, ihn umkehrt als transportables Bücherregal benutzen oder als Rednerpult auf einen Tisch stellen. Ein ähnlich geniales Möbel wie sein Verwandter, der Stahlrohrhocker bzw. Beistelltisch von Marcel Breuer vom Bauhaus.

Trotz der Ulmer Absetzungsbemühungen gegenüber dem Künstlertum am Bauhaus, im Rückblick betrachtet erinnert auch das Ende der Ulmer Schule an das historische Pendant. Ein furchtbarer Jurist aus der Nazizeit, der damalige CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger, wickelte die Schule ab, indem er ihr den Geldhahn abdrehte. Seltsam, dass die radikalsten, aber letztlich einflussreichsten Institutionen der modernen Formgebung in deutschen Provinzstädten entstanden, nur um alsbald dort zu scheitern.

Bis 12. Juni, Katalog (Hatje Cantz Verlag), 28 €