Neue Politik, nicht neue Politiker

In Bolivien hat Präsident Carlos Mesa seinen Rücktritt angeboten – doch den wollen nicht einmal die Linken

BUENOS AIRES taz ■ Auf der Straße zwischen Santa Cruz und La Paz: Barrikaden und Blockaden. In der Stadt El Alto: Streik und Straßenblockaden. In Bulo-Bulo: Campesinos belagern Ölbohrstätten. In Sucre: Straßensperren. Campesinos, Koka-Bauern und Gewerkschafter haben in Bolivien die Regierung herausgefordert und versuchen einen Politikwechsel zu erzwingen. Präsident Carlos Mesa reagierte und bot dem Kongress seinen Rücktritt an. Die 157 Abgeordnete sollten gestern darüber entscheiden, ob sie Mesa weiterhin als Präsidenten haben wollen oder nicht.

„Ich kann nicht weiterregieren, wenn ich geplagt werde von einer nationalen Blockade, die das Land stranguliert, oder von Ultimaten, Streiks, Drohungen und Aktionen, die zu nichts anderem führen, als das Land weiter zu zerstören“, sagte Mesa in einer Fernsehansprache. Der Präsident machte den Koka-Gewerkschafter und Abgeordneten der „Bewegung für den Sozialimus“ (MAS), Evo Morales, und den Stadtteilaktivisten Abel Mamani aus El Alto für die Lage im Land verantwortlich. Beide würden mit ihren Aktionen das Land unregierbar machen. Morales sprach von „Betrug“ und warf Mesa vor, einen Putsch zu planen. Mamani gab zur Antwort, niemand habe den Rücktritt von Mesa gefordert. Trotzdem protestieren beide seit Wochen gegen die Politik der Regierung. Es geht ihnen nicht um neue Politiker, sondern um eine neue Politik.

Morales rief zu Straßenblockaden auf, um die Verabschiedung eines Gesetzes zu erzwingen, das vorsieht, die Staatsabgaben für die Erdölförderung durch transnationale Konzerne in Bolivien von 18 auf 50 Prozent zu erhöhen. In seiner Fernsehansprache nannte Mesa ein solches Gesetz „undurchführbar“, da die „internationale Gemeinschaft dagegen ist“. Morales hingegen argumentiert, die Bodenschätze Boliviens sollen zuerst den Bolivianern zugute kommen.

Das Zentrum der Proteste ist wieder einmal die Stadt El Alto, wo Mamani die Bewohner organisiert. Schon vor 17 Monaten, als der damalige Präsident Gonzalo Sánchez de Losada gestürzt wurde, standen in El Alto Barrikaden. Jetzt wird wieder seit sieben Tagen in El Alto gestreikt und es werden Straßensperren gebaut. Seit langem fordern die Bewohner, dass der Wasserkonzern Aguas de Illimani, der zu dem französischen Multi Suez gehört, El Alto endlich verlässt. Per Dekret hatte Mesa bereits im Januar den Vertrag mit Suez gekündigt, doch der Konzern droht mit einem Prozess, der die Regierung bis zu 50 Millionen Dollar kosten könnte. Seit der Privatisierung der Wasserversorgung in El Alto waren die Anschlussgebühren für einen Wasseranschluss enorm gestiegen, auch blieben 40.000 Haushalte ohne Wasserversorgung, weil der Konzern nicht genügend investiere, so die Bewohner von El Alto.

Nicht nur in El Alto leben Bolivianer, die am enormen Ressourcenreichtum des Landes nicht partizipieren. Während mehrerer Jahrhunderte wurden die Bodenschätze Boliviens, einst Edelmetalle und Mineralien, heute Gas und Öl, von meist ausländischen Firmen ausgebeutet, profitiert davon hat nur die Oberschicht, nie wurden die Gewinne geteilt, und so ist Bolivien bis heute das ärmste Land in Südamerika.

Deshalb wird die Krise des Landes auch nicht mit dem Rücktritt oder Verbleib im Amt eines Präsidenten gelöst, sondern nur mit einem Politikwechsel, der den gesellschaftlichen Reichtum besser verteilt. Es ist es einfach gesagt, das Land sei durch Straßensperren blockiert, wie Präsident Mesa argumentiert. Aber „blockiert“, so gibt der Sozialist Morales zurück, „wird die Entwicklung des Landes vom neoliberalen Modell“. INGO MALCHER