Es reicht für alle. Alaska weiß das. Namibia auch

Das Modell des Bedingungslosen Grundeinkommens wird längst weltweit diskutiert und getestet. Eine Einführung

VON DANIEL MUFSON

Eine der erfolgreichsten Petitionen, die in den letzten Jahren auf der Internetseite des Bundestages eingebracht wurde, war die für ein sogenanntes Bedingungsloses Grundeinkommen. Sie erhielt am 17. Februar 2009 die 50.000. Unterschrift. Am 14. September 2009 soll in Deutschland eine „Woche des Grundeinkommens“ beginnen – eine Woche voller Veranstaltungen, die dazu beitragen soll, das Interesse der Bürger zu wecken.

Die Verfechter des Bedingungslosen Grundeinkommens halten ihre Idee für den Beginn eines gesellschaftlichen Umbruchs. In Götz Werner, dem Gründer der dm-Drogeriemarktkette, hat sie einen prominenten Fürsprecher aus der Geschäftswelt gefunden. Akademisch wird sie von Philippe Van Parijs unterstützt, einem belgischen Philosophen und Ökonomen, der 2001 in seiner Heimat den mit 150.000 Euro dotierten Francqui-Preis erhielt und seit 2004 eine regelmäßige Gastprofessur an der Harvard University hat.

Trotz der wachsenden Relevanz, die der Idee spartenübergreifend beigemessen wird, müssen die meisten Menschen sich aber die Frage stellen: Was ist denn eigentlich das Bedingungslose Grundeinkommen, kurz BGE genannt? Per Definition handelt es sich um eine staatliche finanzielle Zuwendung, die jedem Bürger regelmäßig und in ihrer Höhe konstant ungeachtet des beruflichen, sozialen und familiären Status gewährt wird. Die einzige Voraussetzung, die manche Entwürfe fordern, ist der Besitz der jeweiligen Staatsbürgerschaft. Aber Philippe Van Parijs zum Beispiel ist auch gegen diese Einschränkung. Der Betrag sollte allen ein Existenzminimum gewährleisten, aber in Anbetracht politischer und wirtschaftlicher Faktoren legen die meisten BGE-Entwürfe eine bescheidenere Summe zugrunde. Die Finanzierungsmodelle sind ganz verschieden.

Wurzeln bis ins Spanien des 16. Jahrhunderts

So revolutionär und radikal der Gedanke auch klingen mag, Varianten eines Bedingungslosen Grundeinkommens sind weder neu noch, wie man denken könnte, auf das linke politische Spektrum begrenzt. Wissenschaftler fanden die Wurzeln dieser Idee bereits im Jahre 1526, in dem der spanische Humanist Juan Luis Vives seine Schrift De Subventione Pauperum veröffentlichte. Ähnliche Überlegungen wurden von einem der Gründungsväter der USA, Thomas Paine, dem Fourieristen Joseph Charlier, dem Philosophen John Stuart Mill und Wirtschaftswissenschaftlern wie den Nobelpreisträgern Milton Friedman und James Tobin befürwortet.

In seinem Buch „Real Freedom for All“ versteht Philippe Van Parijs das BGE nicht als das Ende des Kapitalismus, sondern als eine aus ihm resultierende Notwendigkeit. Der Kapitalismus sei das System, das das höchstmögliche Grundeinkommen finanzieren könnte. In einer E-Mail-Korrespondenz erklärte N. Gregory Mankiw, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Harvard University und ehemaliger Vorsitzender des Council of Economic Advisers in der letzten Bush-Regierung: „Richtig umgesetzt, könnte die Idee Zugkraft im ganzen politischen Spektrum entwickeln.“

Einer der bekanntesten deutschen Entwürfe kommt aus den Reihen der CDU.

Seit 2007 unterstützt der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus ein „solidarisches Bürgergeld“. Fundament seines Entwurfes ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat für jeden erwachsenen Bürger. Gleichwohl sind solche Entwürfe alles andere als unumstritten.

Alles hängt davon ab, wie hoch die Steuer sein darf

Nehmen wir etwa das solidarische Bürgergeld nach Althaus: 2008 veröffentlichte das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut eine Publikation von Professor Thomas Straubhaar und Ingrid Hohenleitner. In dieser zitieren sie zustimmend eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, deren Ergebnisse „zeigen, dass das solidarische Bürgergeld grundsätzlich finanzierbar ist“. Diese Aussage steht wiederum im starken Kontrast zum Jahresgutachten 2007/2008 der fünf Wirtschaftsweisen des Sachverständigenrates zur Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: „Die von Althaus vorgeschlagene Originalversion ist mit einer Finanzierungslücke von über 227 Milliarden Euro schlicht und einfach nicht finanzierbar.“ Allgemein stellt Mankiw aber fest: „Die Höhe des Betrags hängt davon ab, wie hoch die Steuer getrieben werden kann – gleichermaßen eine sowohl politische wie auch wirtschaftliche Frage.“

Befürworter heben hervor, dass ein bürgerliches Grundeinkommen Armut eliminieren, das gesellschaftliche Verhältnis zur Arbeit transformieren, die neoliberale Sucht nach Wachstum heilen, Freizeit für Familien schaffen, die Arbeitslosenrate und Kriminalität senken und häusliche Arbeit belohnen könne. Kritiker hingegen klagen, dass die meisten BGE-Entwürfe ohne unerschwinglich hohe Steuern unfinanzierbar seien, Inflation verursachen, das Wirtschaftswachstum bremsen, Arbeitsanreize minimieren und den über Jahrzehnte gewonnenen Fortschritt der Frauen am Arbeitsplatz unterminieren könnten.

Deutlicher Einfluss auf die Vermögensverteilung

Sucht man nach Antworten in der Praxis, findet man wenig Definitives. 1976 etablierte Alaska ein garantiertes Einkommen, finanziert durch seine Ölförderung. Einkommensberechtigt ist jeder, der mindestens ein Jahr im Bundesland gewohnt hat. Die Höhe des Einkommens liegt aber weit unter dem Existenzminimum. Zwischen 1982 und 2004 wurden pro Person insgesamt 21.902 Dollar überwiesen. Trotz dieser relativ begrenzten Summe wurde die Vermögensungleichheit in Alaska zwischen 1989 und 1999 geringer, obwohl die Statistik für die gesamten USA in diesen Jahren eine Verschlechterung feststellte.

Brasilien hat 2005 mit einer allmählichen Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens begonnen. China führte schon 1999 ein garantiertes Einkommen für arme Städtebewohner ein. Nach einem Weltbank-Bericht von 2006 bleibt die Mehrheit der Betroffenen in China damit jedoch unberücksichtigt.

Das beste Beispiel eines Bedingungslosen Grundeinkommens findet man in einem Dorf in Namibia namens Otjivero-Omitara. Dank ausländischer, meist deutscher Organisationen, unter anderem der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Evangelischen Kirchen in Rheinland und Westfalen, bekommt jeder Einwohner unter 60 Jahren seit Januar 2008 eine Zuwendung von 100 Namibischen Dollar (umgerechnet etwa 8,50 Euro) pro Monat. Ab dem 60. Lebensjahr gibt es eine Rente vom Staat. In einer Gemeinde von ungefähr 1.300 Menschen bekommen rund 930 Personen diesen Betrag. Das Einkommen entspricht nicht dem Existenzminimum, so Projektkoordinatorin Claudia Haarmann, sondern dem, was sich der namibische Staat leisten könnte, wenn er das Otjivero-Modell auf ein nationales Niveau bringen wollte. „Es ist ein Betrag, der den Menschen eine gewisse Essenssicherheit gewährt“. Ein Brot kostet 12 bis 13 Namibische Dollar. „Die Unterernährung hat sich enorm reduziert“, sagt Haarmann, „wir hätten nicht gedacht, dass so ein kleiner Betrag einen so riesigen Einfluss auf eine Gemeinschaft haben kann.“ Die ausgleichende Wirkung auf die Vermögensverteilung sei schwer einzuschätzen, da die Gemeinschaft von Anfang an homogen arm gewesen sei.

In einem im September 2008 geschriebenen Bericht, veröffentlicht von der Namibian Economic Policy Research Unit (Nepru), zweifelt der ehemalige IFO-Ökonom Rigmar Osterkamp an manchen der Ergebnisse des Otjivero-Versuchs.

Den Kopf der Hilflosen in den Staub treten

Die Basic Income Grant Coalition in Namibia veröffentlichte daraufhin umgehend eine Pressemeldung, die sie mit einem biblischen Zitat von Amos 2:7 übertitelte: „Den Kopf der Hilflosen treten sie in den Staub …“ Nepru, hieß es darin, habe sich „diskreditiert“ und sollte sich bei „dem Volk Otjivero und der allgemeinen Öffentlichkeit Namibias entschuldigen“. In der aktuellen Ausgabe der Afrika Post reagiert Osterkamp, jetzt Senior Lecturer an der Wirtschaftsfakultät der University of Namibia in Windhoek, irritiert. Osterkamp räumt ein, dass „deutliche Änderungen“ der Verhältnisse „zu erwarten“ waren. Er stellt aber die Details in Frage, weil die Evaluierung des Projekts von seinen eigenen Befürwortern veröffentlicht wurde.

In einem anderen Artikel, der in Namibias New Era-Zeitung veröffentlicht wurde, stellt Osterkamp die Hypothese auf, dass die Zahl der deutschen Unterstützer des Otjivero-Projekts ein Zeichen dafür sein könnten, dass diese Organisationen die Ergebnisse des Versuchs dazu nutzen könnten, um das Bedingungslose Grundeinkommen auf Deutschland zu übertragen.

Wenn dieser Fall eintritt, kann man davon ausgehen, dass die deutsche Öffentlichkeit künftig mehr von solchen Debatten hören wird.