Wo die weißen Kähne gleiten

Zum Kreuz- und Querverlieben: „Rakkaus ja kaipaus“, sagt man in Finnland, wenn „Liebe und Sehnsucht“ gemeint sind. Überhaupt beschert einem das Finnische Film- und Kulturfestival „Moi Suomi“ (Hallo Finnland) derzeit wollüstige Abende

Im Kontrast zur Naturromantik gibt es akustische Hartspüler im Programm

VON ELINA KRITZOKAT

Da sage noch einer, die Finnen seien zurückhaltend! Lange schon hat sich Erotik nicht mehr derart freizügig geballt wie im Acud, wo bis zum 16. März das Finnische Film- und Kulturfestival stattfindet. Von vorn: Es ist Freitagabend, nur noch wenige Tage bis zum Frühlingsanfang. Draußen liegt zwar nasser Schnee, doch in der U-Bahn fahren erwartungsvolle Gesichter in einen anderen Stadtteil. Männergruppen halten Bierflaschen in der Hand bzw. Ausschau nach den Damen.

Weil ich zum Auftakt des Finnlandabends ausgiebig in der Sauna war, verpasse ich die erste Hälfe von „Producing Adults“, einem Film mit sympathischen Darstellern, in dem es ums Kreuz- und Querverlieben, Sommer und Reproduktion geht und an dessen Ende die zwei füreinander Bestimmten sich auf einem Steg am Meer küssen – hinter ihnen ein altes Sommerhaus aus Holz, vor ihnen die untergehende Sonne. Im Abspann dann die vielen Namen mit dem scheinbar unausgewogenen Konsonanten-Vokal-Verhältnis: Tiia, Eeli, Iikka, Minttu.

Die versäumte erste Filmhälfte erzählt mir anschließend ein freundlicher Berliner, der zur Schulzeit lieber ein Jahr nach Helsinki als nach Amerika ging und der sich bei den „Moi Suomi“-Filmen alljährlich seine Dosis Finnland holt. Was das für ihn ist, frage ich. „Vielleicht Toleranz gegenüber Leuten, die etwas seltsam sind? Und Humor, der noch größer ist als der härteste Liebeskummer, zur Not eben mithilfe von Schnaps.“ Stimmt – obwohl im Film kein zwischenmenschliches Drama ausgespart bleibt, muss man ständig lachen. Nach dem Kino spielen Tangon Taikaa auf, „Zauber des Tangos“. Richtig finnisch sind sie eigentlich nicht: Nur der Sänger ist Finne, allerdings mit Hamburger Adresse; Schlagzeuger und Kontrabassist heißen Ali und Andrew und sehen dementsprechend aus; das Akkordeon spielt ein Isländer.

Die Wirkung der Band ist jedoch besser als das beste Plazebo. Sänger Timo springt als frühlingshungriger Bär unter einer Schneewehe (einem weißen Bettlaken) hervor und verhehlt dem Publikum nicht lange, worum es ihm geht: „Mein weißer Kahn gleitet zu dir! Mein weißer Kahn gleitet zu dir!! Auf deine ferne Insel zu!!!“ Liebe, auch in ihrer körperlichen Form, ist das abendbestimmende Thema. Timo erklärt: „Der Finne steckt so voller Leidenschaft, dass er ohne Tango nicht kann.“ Während vor der Bühne junge Menschen sich überraschend schnell zu tanzenden Paaren zusammenfinden, stimmt Timo sie mit seinen teils deutsch dargebotenen Botschaften auf den Frühling ein. „Die Liebe ist ewig. Sie überlebt alle Egoismen, alle Modephänomene. Beim nächsten Lied müsst ihr an die eine Person denken; ihr wisst schon, welche. Ganz fest, und dann es wird wahr!“ Nanu, kein Berliner lacht! Stattdessen zeigen ein Mann und eine Frau anderen Paaren ihren innigen Tanzschritt. „Ich höre die Wellen an meinen Kahn schlagen! Ich höre den Eros!!“

Doch Halt, keine Liebe ohne Schmerz und Sehnsucht. In einem der vielen Tangos in Moll beschwört Timo das Horrorszenario, das sich bei Zurückweisung einstellt: „Meine schwarze Rose! Sie ist weg! Und was habe ich als Trost? Zwei Flaschen, drei Flaschen! … In einer Nacht, die doch voll Liebe hätte sein können.“ Sosehr ich auch ein ironisches Lächeln versuche – ich ertappe meinen Fuß dabei, wie er die kleinen roten Reflexe der Diskokugel streichelt.

Schließlich gibt Timo den Deutschen noch ein paar Zufriedenheitsrezepte mit auf den Weg: die Sauna, deren Loblied er im Duett mit dem finnisch-lernbegierigen Publikum besingt. Und, wie auch schon am Ende des Kinofilms: das stundenlange Abendrot auf einem Steg am Meer. „Dort sitzen und träumen – mehr braucht es nicht zum Glück!“ Das kann ich aus eigener Erfahrung am Bottnischen Meerbusen nur bestätigen – zur Not tut's aber auch ein Steg an der Spree im Treptower Park.

Bei so viel Naturromantik ist es dann allerdings doch gut, dass das Festival zwei echte akustische Hartspüler im Programm hat: Die unterhaltsame Coverband Kuusimäki brüllt Hits von Abba bis Led Zeppelin auf Finnisch und ist regelmäßig in der Stadt zu sehen; die handfest an ihren Keyboards schuftenden Elektronik-Männer von Aavikko sind effektiver als ein Wecker um sechs Uhr früh. Bevor sie loslegen, gibt's für das Publikum noch einen Mini-Sprachkurs vom Band. Frauenstimme: „Mennäänkö hiihtämään? Gehen wir Skilaufen?“ – Mann: „Lumi ei riitä. Zu wenig Schnee.“ – Frau: „Hiihdetään sitten sisällä! Dann laufen wir eben im Haus!“ Auf diesen raffinierten Tipp genehmige ich mir einen doppelten Wodka und träume von finnischer Sommersonne.

Das Finnische Film- und Kulturfestival im Acud, Veteranenstraße 21, bis 16. 3., täglich ab 18 Uhr. Besonders sehenswert: die Dokumentation „Screaming Men“ über den international erfolgreichen Männerchor aus Oulu, der alle Lieder bis hin zu Nationalhymnen geschrien vorträgt (Mi., 20 Uhr). Programm unter www.moisuomi.de