Spaßkunstguerilla

„Ich lehne Catering-Service in mentalen Angelegenheiten ab“: Die Kunsthalle Baden-Baden zeigt eine große Werkschau von Georg Herold

VON GEORG PATZER

„Sometimes I find myself surrounded by total assholes“, schreibt der Künstler Georg Herold. Viele sind es: Bernd, Herbert, Lothar, 39 Namen insgesamt. 34 zusammengenagelte Dachlatten, auf denen die Namen stehen, umkreisen an der Wand einen leeren Raum. So schwer kann das Leben sein. Ob er Recht hat, weiß man nicht, wer kennt schon Max, Heinz, Holger. Die grundsätzlichere Frage ist aber: Darf Kunst (wieder) Spaß machen?

Die Kunsthalle Baden-Baden zeigt jetzt Werke von Georg Herold, einem Künstler, dessen Witz in vielen Arbeiten im Vordergrund steht. Aber es ist ein philosophischer Witz, ein Wittgenstein’scher Sprachspielwitz, ein Kunstwitz. Und damit eine ganz ernste Sache. Die Kunsthalle Baden-Baden mit ihrem Direktor Matthias Winzen (der bei den „assholes“ nicht vorkommt) zeigt seit einiger Zeit eine schöne Tendenz zum Zirkus und zur Spaßkunstguerilla. Aber gerade dadurch wird die Kunst wieder aufmüpfig, stachelig, aussagekräftig und wichtig.

Wie bei Herold. Herold ist ein Aufstachler, ein Entlarver. Er will die Leute vor den Kopf stoßen, mit Dachlatten und Ziegelsteinen, Wassergläsern, schmutzigen Seifendosen, Boxhandschuhen, Socken und Unterhosen. Und dann soll der Kopf nicht mehr hohl klingen, sondern vor eigenen Gedanken und Ideen summen und brummen. Herold karikiert den Kunstbetrieb, der so schnell bereit ist, sich hinters Licht führen zu lassen. Seine einfachen Arbeiten tragen pseudopoetische Titel, wie man sie aus vielen Ausstellungen kennt: „Gekrümmte Poesie“, „Unentdeckbarer Planet“, „Das dicke Licht“, „Opernball“, „Russische Marmelade“, „Verwandlung von Dachlatte in Wurst“ (an anderer Stelle „in Gold“) oder „Departure“ und „Arrival“. Zu sehen sind Socken in einem Glas, Knöpfe auf Leinwand genäht, geflochtene Drähte, zusammengebundene, -genagelte oder auf einen Haufen geworfene Dachlatten, Flaschen, Ziegelsteine an Leinwand geklebt. Vieles „passt“ nicht, und das ist gewollt: „Wie verarbeitet man die Konfrontation mit dem Unbekannten oder Unglaublichen? Man lacht zum Beispiel aus Verlegenheit oder aus Begeisterung.“

In Baden-Baden wird es wohl eher Begeisterung sein. Es ist ein großer Überblick über Herolds gesamtes Schaffen zu sehen: Im Oberlichtsaal und neun kleineren Räume fügen sich die vielen kleinen Kommentare und die etwas größeren Arbeiten zu einem großen Bild zusammen, das Herolds intellektuelle Kraft deutlich macht und die Klarheit und Schnörkellosigkeit seiner Werke.

Herold, seit fünf Jahren Professor für Bildhauerei in Düsseldorf, gibt vor allem Anstöße, bricht gewohnte Denkstrukturen auf: Wie nehmen wir wahr? Wie schließen wir aus? Wie denken wir? Was ist Kunst? Das Rude Museum versammelt in der Abteilung „Department of Highlights“ Gegenstände des Alltags: eine Seifenschale, einen Pinsel, zwei Socken. Seine „European-African Sculpture“ besteht aus afrikanischen Holzfigürchen mit Kondomen oder Teesieben über dem Kopf, ein großer Vitrinenschrank zeigt seine „Künstlerische Medizin“: knapp 200 Schraubgläser und Flaschen mit destilliertem Wasser, mit Etiketten wie „Gewässer ohne Wasserspiegel“, „Wasserspiegel h.c.“, „konkretes Wasser“, „Trockenwasser – Surrogat“, „Wasser in Latte“ oder „Wasserspiegel naturtrüb“.

Der Spaß ist groß, der Erkenntnisgewinn riesig. Denn es ist doch auch Kunst. Vor allem unterläuft Herold die Erwartungen des Besuchers, der genau zu wissen glaubt, was er sieht. Bei Herold gibt es keinen Bedeutungszusammenhang zwischen Objekt und Titel. Aus diesem Grund besorgt sich Herold auch stets einfache Materialien, „‚ungehobeltes, dummes‘ Material, das keine Fragen aufwirft“. Oder er karikiert die Kunstgeschichte, indem er Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ aus Kaviar nachbildet oder Dürers Hasen aus Dachlatten. Nebenan steht eine Skulptur, die fast genauso aussieht, aber „Stalin“ heißt. Nie war die Ähnlichkeit zwischen Häschen und Stalin-Orgel größer. Die Literaturgeschichte kommentiert Herold, indem er zwei Latten an die Wand stellt, die längere ist Goethe, die kurze „Im Vergleich dazu irgendein Scheißer“.

Dazu kommt, dass er der Sprache nicht traut, aber anders als Wittgenstein könnte er sagen: „Wovon man nicht reden kann, das muss man zeigen.“ Auch politische Kommentare findet man, einen „Rumsfeld“ ebenso wie politisch Unkorrektes zu Russland, der „Westerweiterung“ und dem großen schwarz-rot-goldenen Deutschland. Die Kunsthalle zeigt die sehr vielfältigen Arbeiten von Herold in einer wunderbaren Ausstellung, mit schönen Ensembles, großen Holzskulpturen, vielen Vitrinen und Einzelbildern. Sie zeigt konzentriert und spielerisch die intellektuelle Kraft und konzeptuelle Eindeutigkeit ebenso wie das gestalterische Vergnügen Herolds, sie lässt der Entdeckungsfreude und dem intellektuellen Vergnügen des Zuschauers viel Raum und ist so zwingend, dass man in Baden-Baden Herolds Mahnung nicht braucht: „Ich lehne Catering-Service in mentalen Angelegenheiten ab“.

Georg Herold: „What a life“. Bis zum 9. April. Geöffnet Di.–So. 11–18 Uhr, Mi. 11–20 Uhr. Katalog 40 €