Die Ökonomie des Glücks

Mit neuen Methoden enträtseln Hirnforscher, was Menschen wirklich glücklich macht. Ihre Erkenntnis, dass mehr Reichtum kaum noch einen Glücksgewinn mit sich bringt, erschüttert die Glaubensgrundsätze der modernen Ökonomie. Und lässt Zweifel an des Kanzlers Reform-Agenda aufkommen

VON FELIX ROHRBECK

Seit Jahren predigen Ökonomen und Politiker vor allem eines: Wachstum, Wachstum, Wachstum. In ihrem Bemühen, das Bruttosozialprodukt zu steigern, werden Sozialleistungen gekürzt und der Kündigungsschutz gelockert. Doch macht uns eine solche Politik wirklich glücklicher? Die Erkenntnisse von Glücksforschern lassen daran starke Zweifel aufkommen. So sind wir Deutschen in den letzten fünfzig Jahren keinen Deut glücklicher geworden. Und das, obwohl sich unser Einkommen seitdem in etwa verdreifacht hat. Ähnlich verhält es sich in allen anderen westlichen Industrienationen. Ab einem Pro-Kopf-Verdienst von 20.000 US-Dollar pro Jahr wirkt sich das Einkommen offenbar kaum noch positiv auf unser Glücksempfinden aus. Wir haben heute mehr zu essen, besitzen komfortablere Autos und können öfter in den Urlaub fahren. Und trotzdem: Unser Glück hat sich nicht vermehrt.

Glück ist messbar

Für Ökonomen ist dies eine bittere Erkenntnis. Und noch dazu eine, die sich kaum noch leugnen oder schönreden lässt. Bisher wurde Glück meist durch Befragungen gemessen, in denen die Teilnehmer ihren eigenen Gemütszustand bewerten sollten. In Deutschland werden solche Umfragen seit 1984 regelmäßig vom sozio-ökonomischen Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt. Allerdings war lange unklar, wie zuverlässig solche Befragungen sind. Für die meisten Ökonomen ist Glück ein subjektiver, nicht messbarer Zustand, der folglich in ihren Berechnungen keine Berücksichtigung findet. Nun allerdings ist es Hirnforschern mit Hilfe moderner Kernspintomografie gelungen, Glück objektiv messbar zu machen. Indem sie den Kopf einer Versuchsperson mit Elektroden versehen, ermitteln sie die Aktivität verschiedener Hirnregionen. Bei positiven Gefühlen reagiert die linke vordere Gehirnhälfte stärker, bei negativen ist es die rechte. Der Unterschied in der Aktivität der beiden Gehirnhälften wird so zu einem Maß für das Glücksempfinden der Menschen. Und wie sich gezeigt hat, stimmen die biologischen Messungen weitestgehend mit dem überein, was die Testpersonen in ihren Befragungen angeben. Es gibt also keinen Unterschied zwischen dem, was Menschen zu fühlen glauben, und dem, was sie wirklich fühlen. Wir können selbst sehr gut beurteilen, ob und wie glücklich wir sind. Und anscheinend hat unser Seelenzustand sehr wenig mit unserer Kaufkraft zu tun.

Wie aber ist es zu erklären, dass mehr Reichtum uns nicht glücklicher macht? Und warum wünschen sich die meisten Menschen trotzdem mehr Geld und investieren viel Zeit und Mühe, um dieses Ziel zu erreichen? Eine mögliche Antwort ist, dass es uns weniger um das absolute Einkommen geht als um das relative. Unsere Angewohnheit, uns ständig mit anderen zu vergleichen, ist vermutlich der wichtigste Grund für unsere Unzufriedenheit. Geld ist nicht bloß Zahlungsmittel, sondern auch Gradmesser für unseren Status in der Gesellschaft. Eine verheiratete Frau sucht sich mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Arbeit, wenn der Ehemann ihrer Schwester mehr verdient als der eigene. Ein weiteres Beispiel ist die Wiedervereinigung: Obwohl der Lebensstandard der Ostdeutschen rapide anstieg, ging das Selbstwertgefühl bei vielen in den Keller. Denn nun verglichen sich die Ostdeutschen mit den reicheren Westdeutschen und nicht mehr mit den ärmeren Genossen aus den sozialistischen Bruderstaaten. Dieser psychologische Mechanismus verhindert, dass Wirtschaftswachstum wirklich glücklicher macht. In jeder Gesellschaft geht es den Reichen besser als den Armen. Aber unterm Strich ist die reiche Gesellschaft auch nicht glücklicher.

Familie, Arbeit, Demokratie

Aber was – wenn nicht Reichtum – entscheidet dann darüber, ob und wie glücklich wir sind? Alter, Geschlecht, Aussehen, Intelligenz und Bildung spielen offenbar kaum eine Rolle. Die größten Auswirkungen auf unser Glücksempfinden haben Veränderungen im familiären Bereich. Das zumindest ist das Ergebnis des „World Values Survey“, für den seit 1981 mehr als 90.000 Menschen aus 46 Ländern befragt wurden. Eine Scheidung wirkt sich danach doppelt so negativ aus wie der Verlust von 30 Prozent des Familieneinkommens. Fast ebenso wichtig wie ein intaktes Familienleben sind Freunde und das soziale Umfeld. Die Befragungen haben auch ergeben, dass das Vertrauen in die eigenen Mitmenschen je nach Land sehr unterschiedlich stark ausgeprägt ist. In Brasilien gaben nur fünf Prozent der Befragten an, ihren Mitmenschen trauen zu können. In Deutschland waren es 38, in Norwegen 64 Prozent. Glücksentscheidend ist außerdem das politische Mitbestimmungsrecht. Eine Demokratiestudie in der Schweiz hat ergeben, dass Menschen in denjenigen Kantonen am glücklichsten sind, in denen die Bürgerbeteiligung am größten ist. Vergleicht man den Kanton mit der ausgeprägtesten Bürgerbeteiligung mit dem der geringsten Mitbestimmung, entspricht das Mehr an Glück in etwa einer Verdoppelung des Einkommens.

Besonders brisant für Deutschland: Kaum etwas macht unglücklicher als Arbeitslosigkeit. Schwerer als der Einkommensrückgang wiegt dabei das angeknackste Selbstwertgefühl sowie der Verlust sozialer Bindungen. Im Gegensatz zu vielen anderen Unglücksfaktoren setzt bei Arbeitslosigkeit auch kein Gewöhnungseffekt ein. Sie schmerzt nach zwei Jahren noch genauso wie am Anfang. Dies widerspricht der weit verbreiteten These, dass Arbeitslose es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich machen, weil sie rational gegenrechnen, wie viel Geld ihnen ein Job im Vergleich zu den empfangenen Sozialleistungen einbringt. Vermutlich wären viele Arbeitssuchende bereit, einen Job auch dann anzunehmen, wenn er für sie keinen oder nur einen sehr geringen finanziellen Zugewinn bedeutet. Unter einer hohen Arbeitslosigkeit leiden aber nicht nur die Arbeitslosen. Steigt die Erwerbslosigkeit, drückt das die Stimmung der gesamten Gesellschaft. Denn bereits die Angst vor dem Jobverlust wirkt stark glücksmindernd.

Kein Wunder also, dass wir Deutschen angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen international nicht zu den Glücklichsten gehören. In der vom Niederländer Ruth Veenhoven geführten globalen Glücksdatenbank liegt Deutschland mit 7,1 von 10 möglichen Punkten nur im Mittelfeld. Auffällig ist, dass Staaten mit einem starken sozialen Ausgleich wie Schweden, Finnland oder Dänemark im Glücks-Ranking auf den vordersten Plätzen zu finden sind. Ob die derzeitigen Wirtschaftsreformen der Bundesregierung sich positiv auf unsere Glücksbilanz auswirken werden, ist deshalb zweifelhaft. Denn anscheinend macht es uns Menschen weit weniger Freude, flexibel und mobil zu sein, als Ökonomen es vermuten. Mehr Mobilität führt zwar zu einer größeren Produktivität, doch sie zerstört auch das soziale Umfeld. So lassen sich zum Beispiel Paare, die in der Gegend wohnen bleiben, in der sie aufgewachsen sind, weniger häufig scheiden als mobile Paare. Andersherum fühlen mobile Menschen sich der Gemeinschaft um sie herum weniger zugehörig. Als Folge wächst auch die Kriminalität – einer der größten Unglücksfaktoren.

In seinem Buch „Happiness“, das auf Deutsch im März unter dem Titel „Die glückliche Gesellschaft“ erschienen ist, fordert der renommierte britische Ökonom Richard Layard von Politik und Wirtschaft, sich stärker am Glück der Gesellschaft zu orientieren. So sollten Wirtschaftswissenschaftler endlich anerkennen, dass Menschen Verluste stärker fürchten, als sie Gewinne würdigen. Wirtschaftliche Sicherheit und ein sozialer Ausgleich sind seiner Meinung nach zentrale Glücksfaktoren. Daher sei der europäische Weg der sozialen Absicherung besser für das Glücksempfinden der Menschen als das amerikanische Prinzip der Eigenverantwortung.

Von der Bühne gefallen

Für liberale Ökonomen sind das provozierende Thesen. Ihr Menschenbild, das auf dem Behaviorismus beruht und davon ausgeht, dass wir nichts über die Gefühle der Menschen wissen können und deshalb allein ihrem Verhalten Glauben schenken dürfen, ist veraltet. Sie sollten die Erkenntnisse der Glücksforscher ernst nehmen und aufhören, dass Bruttosozialprodukt als Maß für den Wohlstand eines Landes zu missbrauchen. Ansonsten könnte es ihnen ergehen wie dem Harvard-Ökonomen und Vordenker des Behaviorismus, Frederic Scinner. Scinner hatte die Angewohnheit, während seiner Vorlesungen auf der Bühne auf und ab zu gehen. Die Studenten verabredeten, immer wenn er nach links ging, grimmig auf ihr Blatt zu schauen, und jedes Mal, wenn er nach rechts ging, aufzublicken und ihn freundlich anzulächeln. Nach kurzer Zeit ist Scinner rechts von der Bühne gefallen.