Wie das Land, so die Sprache

Die norddeutsche Provinz ist tot, sie hat ihr Zentrum und ihre Identität verloren: Die junge Autorin Svenja Leiber schreibt kein Wort zu viel und trifft in den Erzählungen ihres Debüts „Büchsenlicht“ so gleich den richtigen Ton

In der Erzählung „Die Regentrude“ von Theodor Strom liegt eine unerträgliche Hitze über dem flachen Land. Die Felder ausgedörrt, das Vieh verdurstet, die Ernte zerstört. Verantwortlich für diesen Jahrhundertsommer ist ein böser Kobold mit Spindelbeinen und roter Mütze namens „Eckeneckepenn“.

Dieser Feuerteufel treibt in menschlicher Gestalt auch in der ersten Geschichte von Svenja Leibers Erzählband „Büchsenlicht“ sein Unwesen. Er heißt Holm und spielt Klarinette. Er muss, um gehört zu werden, gegen das Schweinequieken, den Motorenlärm und das Gehupe des Edeka-Lasters anspielen. Und weil er glaubt, dass es alle auf ihn und sein Gedudel abgesehen haben, tränkt er das Sofa und die Ledersessel, die Tische in der Stube und den Weizen in der Scheune, und bald sind die Häuser des Dorfes und die Menschen voll gesogen mit Licht.

Holm ist ein Pyromane, aber die 1975 in Hamburg geborene Svenja Leiber schreibt nicht, dass er einer ist. Sie gibt Hinweise, macht Andeutungen und benutzt Begriffe, die wie Widerhaken wirken, Wörter, über die man stolpert, weil sie so schön und treffend sind und angesichts der Brutalität ihrer Figuren so verstörend und gemein. Ihre Sätze klingen, als habe jemand gerade eine Weide mit Pflöcken abgesteckt. Jedes Wort scheint in den Boden gerammt zu sein, so unerschütterlich stehen sie da: „Landregen. Lehmschwere Stiefel an lehmschweren Bauern, Gurgelndes am Straßenrand und Schleimspuren auf dem Asphalt.“ Oder: „Heide sagte ja, Rothals sagte ja, man fuhr mit Dosenschlepper zum Feldkrug.“

Fast alle 13 Geschichten in diesem Erzählband sind verdichtet, auf das Wesentliche reduziert. Kein Wort zu viel. Der Minimalismus, wie man ihn von Raymond Carver kennt, und diese über allem schwebende Melancholie, die in Rezensionen gerne als lakonisches Erzählen positiv hervorgehoben wird, sind längst zu literarischen Stilmitteln geworden, die vor allem junge Autoren benutzen, wenn sie Angst haben, etwas falsch zu machen.

Bei Leiber passt sich die Form dem Inhalt an. Wie das Land, so die Sprache. Die Gegend um Lübeck, über die sie schreibt und in der sie aufgewachsen ist, zwingt zu einer radikalen Verknappung, weil die Menschen in Norddeutschland nur wenig sagen. Und wenn doch, dann sprechen sie möglichst lang und breit, um die Gespräche in die Länge zu ziehen – und um die Leere zu füllen, von der sie, ohne es zu wissen, umgeben sind. So wird hier entweder abgewartet oder Korn getrunken, meist aber wird beides miteinander verbunden.

Die Provinz ist tot. Das Dorf in „Büchsenlicht“ ist zum Vorort mutiert. Es hat sein Zentrum und seine Identität verloren. Neubaugebiete breiten sich so lange an den Rändern aus, bis der Ort eingemeindet wird. Die Bewohner haben den Bezug zur Natur verloren, hocken vor dem Fernseher und fiebern dem nächsten Schützenfest entgegen. Die Jugendlichen stehen nach der Schule bei den Containern, spucken auf den Asphalt, warten darauf, dass die Jugend vorüber ist und sie wegziehen können. Nach Hamburg oder Berlin. Nicht um sich zu verwirklichen, sondern um die Schusslinie zu verlassen. Um nicht länger Pöbeleien, Schlägen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt zu sein.

Büchsenlicht, das ist in der Jägersprache das Tages- oder Mondlicht, das ausreicht, einen treffsicheren Schuss anzubringen. Bei Svenja Leiber ist das Büchsenlicht die Zeit, in der die Menschen am verwundbarsten sind. Sie knallt sie nicht ab mit ihren Geschichten. Aber sie trifft sie mit ihrer direkten und poetischen Sprache mitten ins Herz.

JAN BRANDT

Svenja Leiber: „Büchsenlicht“. Erzählungen. Ammann-Verlag, Zürich 2005, 155 Seiten, 17,90 €