Milde Strafe für den Tyrannenmord gefordert

Im Prozess gegen eine Türkin, die ihren tyrannischen Mann nach 20 Jahren Demütigung und Gewalt im Schlaf erschossen hat, ließ die Anklage den Mordvorwurf gestern fallen und forderte vier Jahre Haft. Der Nebenklagevertreter war so überrascht, dass das Verfahren unterbrochen werden musste

„Fragen Sie sich, wie diese stille Frau so etwas Schreckliches tun konnte.“

bremen taz ■ Dass das Urteil „im Namen des Volkes“ schwierig wird, zeichnete sich seit dem ersten Verhandlungstag im Mordprozess gegen Ayse B. ab. Wie weit aber die Einschätzungen der Prozessbeteiligten über eine angemessene Strafe für die 40-jährige Angeklagte auseinander gehen, die ihren Mann nach 20 Ehejahren Erniedrigung und Gewalt im September mit vier Schüssen im Schlaf tötete, das offenbarte der gestrige Tag.

Eigentlich hätten im Landgericht Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung – in dieser Reihenfolge – die Plädoyers halten sollten. Doch dazu kam es nicht, nachdem Staatsanwalt Stefan Wachsmuth die Anklage wegen heimtückischen Mordes fallen ließ und die Rolle des getöteten Mannes im Beziehungsdrama analysierte. Dieser habe als bisweilen bedrohlich gewalttätiger Familientyrann der zarten Ehefrau kein Entrinnen gestattet.

Kaum hatte der Staatsanwalt das Plädoyer mit der Forderung auf vier Jahre Haft wegen Totschlags beendet, strich Nebenverklagevertreter Ümit Irmak buchstäblich die Segel. Angesichts dieser „völlig überraschenden“ Situation, die ihn „total erstaune“, brauche er mehr Zeit für die Vorbereitung seines Plädoyers, war der Anwalt über die Milde der Anklage sichtlich aufgebracht – während die Schwester des Getöteten die Vorgänge äußerlich ruhig zur Kenntnis nahm. Nur eine Zuschauerin hatte bei der Strafforderung vernehmlich verärgert ausgeatmet.

Dabei hatte der Staatsanwalt die ZuhörerInnen behutsam eingestimmt. Die der Tat vorausgehende „verhängnisvolle Beziehung“ sei eskaliert. Mann und Frau seien dabei „Opfer und Täter“ geworden. Und: „Die Tötung wiegt schwerer als alles, was der Angeklagte getan hat.“ Doch: „Fragen Sie sich, wie diese stille Frau so etwas Schreckliches, ihrem Wesen nach Fremdes tun konnte“, wandte sich der Staatsanwalt an die Angehörigen des Mannes – die die Angeklagte in Zeugenaussagen übrigens nie als heimtückisch oder berechnend belasteten. „Der Getötete hat seine Frau nicht so behandelt, wie er das hätte tun müssen“, begann Wachsmuth seine juristischen Abwägungen.

Im Plädoyer stützte der Staatsanwalt sich wesentlich auf das Gutachten des Psychiaters, wonach die Mutter dreier Kinder um die 20 in unkontrollierter Erregung handelte – ohne die Arglosigkeit ihres schlafenden Opfers abzuwägen und bewusst ausnutzen zu können. Er schloss sich dem Gutachter an, der eine „tief greifende Bewusstseinsstörung“ attestiert und die Erregung der Angeklagten für so außerordentlich gehalten hatte, „dass es zu dieser Tat wohl auch gekommen wäre, hätte der Mann wach im Sessel gesessen.“

Die gewalttätige Eskalation in der der Tatnacht wertete der Ankläger als den Schlusspunkt in einer „Kette von Demütigungen und Misshandlungen“, die die Angeklagte nach glaubwürdigen Aussagen naher Verwandter und einer deutschen Vertrauten erlitten habe. Sie wollte Ayse B. ins Frauenhaus bringen – doch die hatte aus Angst abgelehnt.

„Die Angeklagte wollte eine gute Ehefrau und Mutter sein“, so der Staatsanwalt. Dies habe ihr Ehemann ausgenutzt. Abweichende Zeugenaussagen stammten zumeist von entfernteren BeobachterInnen – oder folgten dem im Gerichtssaal offen benannten Wunsch, dem Toten nicht Schlechtes nachsagen zu wollen.

Der Staatsanwalt scheute sich nicht. Er zeichnete die Indizien für eine Persönlichkeitsveränderung des Mannes nach, die sich in Kontrollwut, Misstrauen, Eifersucht, Boshaftigkeit, Brutalität und schließlich dem Verlust von Freundschaften ausdrückte. Die Drohungen dieses Mannes habe eine eher depressive, anpassungsbereite Persönlichkeit wie die Angeklagte ernst nehmen müssen. In der Tatnacht habe sie sich nach Todesdrohungen und tiefster Kränkung elementar bedroht gesehen. Dennoch sei ihr anzulasten, dass sie keine Hilfe gesucht habe. „Frauenhaus. Beratung oder Polizei“, verwies der Staatsanwalt auf ein Bundesgerichtshofsurteil, wonach eine Tötung abzuwenden ist. Eva Rhode

Fortsetzung Montag 12.15 Uhr, Saal 218