berliner szenen Bei Chuck Palahniuk

Das Zucken des Egos

Früher soll er auf seinen Lesungen abgetrennte Arme ins Publikum geworfen haben. Keine echten natürlich. Sondern Imitate, wie sie in Splatterfilmen verwendet werden. Seitdem er damit jemanden an einem richtig wunden Punkt getroffen hat, macht er das nicht mehr. An diesem Abend in der Kalkscheune fliegt nichts ins Publikum außer präzis gemeißelten Sätzen: Chuck Palahniuk schreibt Bücher wie den „Fight Club“, in dem sich Männer am Wochenende die Birne weich klopfen und dabei merken, was für einen Hunger sie haben nach einem erfüllten und authentischen Leben; die dabei ihre Kraft und ihren Mut entdecken, ein anderer zu sein als der, der sie immer dachten zu sein – und ganz nebenher die konsum- und mediengeile Welt aus den Angeln heben. Ziemlich harter Tobak.

Zur Überraschung entpuppte sich Palahniuk als feiner, extrem sympathischer und gut aussehender Fortysomething. Ganz still saß er neben Richy Müller, der aus dem gerade erschienenen Buch „Das letzte Protokoll“ las. Und trug dann – zur Freude des Publikums – selbst noch eine Erzählung vor: eine, von der er inständig hofft, dass seine Mutter sie nie lesen möge. Eine wahre Geschichte von sexueller Unerfahrenheit, von einfallsreicher Experimentierfreude, von extrem ungünstigen Missgeschicken – und von der glühenden Scham, die all das überdeckt. Von Mohrrüben, die erst zu unüblichen Zwecken verwendet werden, dann spurlos in Mutters Waschküche verschwinden und für immer unerwähnt über dem Familientisch hängen. Von Schwimmbädern und Absauganlagen und feststeckenden Hintern. Alles ziemlich eklig – aber zugleich so freundlich den Finger auf Tabus gelegt und auf das ewig zuckende Ego, dass man nur eins wollte: mehr. ANNETTE JAHN