„Wir wollen keine weiteren Ghettos schaffen“

Am Wochenende gründeten 250 Frauen in Köln einen Dachverband für Migrantinnen. Sidar Demirdögen ist eine von ihnen. „Momentan sehen wir das Bedürfnis, als eigene Migrantinnenorganisation zu agieren“, sagt die 26-Jährige

taz: Warum organisieren Sie sich in einer eigenständigen Migrantinnengruppe?

Sidar Demirdögen: Migrantinnen haben einfach spezifische Probleme. Die Unterschiede liegen vor allem im Soziokulturellen, in den Familienverhältnissen, den Verhältnissen der Geschlechter, die vom Herkunftsland geprägt sind. Unsere Organisation ignoriert nicht die Diskriminierungen, denen alle Frauen ausgesetzt sind. Dazu betonen wir aber spezifische Probleme der Migrantinnen.

Was sind denn solche spezifischen Probleme?

Da gibt es zum Beispiel gesetzliche Bestimmungen, die eben ausschließlich Migrantinnen betreffen: So sind sie vor allem bei Familienzusammenführungen vom Aufenthaltsstatus und der Arbeitsgenehmigung an den Ehemann gebunden. Dann existieren rückschrittliche Sitten und Gebräuche, denen Migrantinnen ausgesetzt sind. Zum Beispiel gibt es Schwimmkurse, zu denen Töchter nicht geschickt werden, weil es als große Sünde angesehen wird, wenn die Tochter im Badeanzug vor der Klasse steht. Dann vertreten viele auch die Auffassung, dass es eine große Sünde sei, wenn Migrantinnen eine Ehe mit einem deutschen Mann eingehen. Das sind immer noch aktuelle Probleme.

Was fordern Sie von der Gesellschaft, in der Sie jetzt leben?

Es gibt allgemeine Forderungen für alle Frauen: Dass die Diskriminierung im Arbeitsleben aufhört, dass der Unterschied in den Löhnen zwischen Frauen und Männern aufgehoben wird. Dann sollen Frauen nicht mehr als sexuelles Objekt angesehen werden. Was Migrantinnen als spezifische Gruppe betrifft, fordern wir Möglichkeiten, sich zu entfalten. Man muss sich das so vorstellen: Migrantinnen leben häufig in sehr kleinen Welten. Die Grenzen sind von den Normen des Ehemanns oder der Schwiegereltern gesetzt. Diese Grenzen müssen gebrochen werden. Dazu muss es gemeinsame kulturelle Aktivitäten geben, in denen Frauen sich entfalten können. Die Erlernung der deutschen Sprache ist da ein sehr großes Problem und enorm wichtig als Schlüsselqualifikation für Bildung und für die persönliche Entfaltung. Außerdem ist mehr als die Hälfte der Migrantinnen von direkter Gewalt betroffen. Da gibt es natürlich auch den Mann als Problem. Noch schwerwiegender aber sind rückschrittliche Normen und Wertvorstellungen, von denen auch Männer betroffen sind. Wir wollen solche Normen bloßstellen, die Männer und Frauen gleichermaßen daran hindern, ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Was will Ihr Verein konkret leisten?

Integration ist eine gemeinsame Aufgabe von allen demokratischen Institutionen. Wir verstehen uns als ein ergänzendes Glied dieser Bemühungen, gewissermaßen als Brücke. Wir initiieren Treffen, in welchen wir Aufklärung über Kindererziehung leisten, Sprachförderung, Tanzgruppen, Musikgruppen anbieten. Auch gemeinsame gewerkschaftliche Aktionen führen wir durch.

Würde Integration für Sie bedeuten, dass heutige Migrantinnen in ein paar Jahren in andere kulturübergreifende Frauengruppen wechseln könnten?

Ja. Migrantinnen sieht man immer als die Betroffenen an, mit welchen man Mitleid hat. Doch wir sind nicht die kulturell rückständigen Ausländerinnen, wir haben in vielerlei Hinsicht die gleichen Perspektiven wie deutsche Frauen. Momentan sehen wir das Bedürfnis, als eigene Migrantinnenorganisation zu agieren. Was in ein paar Jahren sein wird, wissen wir nicht. Schön wäre es, wenn wir den Punkt erreicht hätten, dass Deutsche und Migrantinnen sich unter einem Dach organisieren. Denn wir wollen keine weiteren Ghettos schaffen, sondern sehen uns in einer Brückenfunktion. Aber soweit ist es noch nicht.

INTERVIEW: CLAUDIA LEHNEN