ERICH RATHFELDER ÜBER DIE NEUE EU-VISAREGELUNG FÜR DEN BALKAN
: Unmoralische Entscheidung

Mit dieser Entscheidung werden die Opfer der Kriege in den 1990er-Jahren bestraft

Eigentlich kann man gar nicht glauben, dass Brüssel so wenig politisches Fingerspitzengefühl hat. Die Entscheidung, die Visapflicht für Reisende aus Serbien, Montenegro und Mazedonien aufzuheben, für die aus anderen Staaten des westlichen Balkans aber nicht, wird nicht nur die Spannungen in der Region verschärfen. Sie ist moralisch, politisch und menschlich völlig untragbar und schlägt auf die EU negativ zurück.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Alle sollen visumfrei einreisen können, das hatte die EU schon 2003 in Thessaloniki versprochen. Aber mit dieser Entscheidung werden, sieht man von Albanien ab, gerade jene bestraft, die zu den Opfern der Balkankriege in den 1990er-Jahren gehörten. War es nicht die serbische Soldateska, die Bosnien verwüstete, über 100.000 Menschen ermordete, waren es nicht serbische Truppen, die 10.000 Albaner im Kosovo massakrierten, das Land zerstörten und fast eine Million Menschen vertrieben?

Just an diesem Wochenende begruben die Frauen, die das Massakers von Srebrenica überlebt haben, wieder einige hundert der DNA-untersuchten Opfer. Was sollen sie jetzt denken, wenn sie für ein Visum anstehen müssen, die über 800 namentlich bekannten serbischen Täter aber nicht? Bosnische Serben und Kroaten können sich Pässe in Kroatien und Serbien besorgen. Und ausgerechnet die bosnisch-serbischen Politiker, die mit ihrer Obstruktionspolitik die Annäherung Bosniens an die EU verhindern, werden belohnt.

Wenn jetzt sogar Brüssel darüber nachdenkt, wie zu vermeiden ist, dass sich Kosovo-Albaner serbische Pässe besorgen – nach serbischer Lesart gehört das Kosovo zu Serbien –, ist der Gipfel der Niederträchtigkeit erreicht. Was ist das für ein Europa, das Rechtsstaat, Demokratie und Schutz der Minderheiten fordert, sich selbst aber nicht daran hält. Und ist es Zufall? Bei den Opfern handelt es sich um europäische Muslime.