Widerspruchslos im Leben

Handwerklich sehr solide und gut lesbar, aber leider ohne jedes Risiko: Mascha Kurtz’ Erzählsammlung „Räuber und Gendarm“

Allzu weit wagen sie sich zur Zeit nicht hervor aus ihrer Deckung, die jungen Schriftsteller mit ihren zarten Debütwerken. Früher begann eine Schriftstellerkarriere mit einer Schusswunde, und manche der damals begonnenen enden auch mit einer. Heute schreiben Jungautoren perfekt gerüstet und sicher in der Wahl ihrer Mittel auf ihnen vertrautem Terrain, gießen alltägliche Lebenswelt in so tadel- wie schnörkellose und weitgehend unaufgeregte Prosa. So wie Mascha Kurtz, die, obgleich sie ihr Training erfolgreich auf Hamburgs Open-Mike-Bühnen absolviert hat, mit ihrem ersten Erzählungsband „Räuber und Gendarm“ ein zwar handwerklich sehr solides und gut lesbares Buch vorlegt, das aber kaum ein Risiko eingeht.

Ihre Geschichten handeln von Menschen, denen man täglich begegnen könnte, die zum Beispiel ausgerüstet mit Popcornstand und kostenlosem Anzeigenblatt durch die Supermärkte an der Ostsee tingeln, allabendlich im Kulturzentrum hinter der Theke stehen oder in einfachen Hotels die Betten machen. Weder große Träumer noch zynische Realisten, leben sie fast widerspruchslos das Leben, das sich ihnen in den Weg gestellt hat.

Die knappen Geschichten sind meist so etwas wie abgemilderte unerhörte Begebenheiten des Inneren. Kurtz entwirft für ihre Figuren Situationen, in denen sie etwas über sich selbst lernen, indem sie Entscheidungen treffen, Dinge tun oder auch unterlassen. Da findet das Zimmermädchen eine Pistole im Nachtkästchen, und die Jungs vom Kulturzentrum finden heraus, wie tief sie sinken können, wenn die Gelegenheit gegeben ist. Eine Frau, die in einem Labor Tierversuche macht, entscheidet sich für ihren Bruder, als dieser die Tiere befreien will, und eine andere verliert durch ein verräterisches nächtliches Geräusch eine Illusion.

Bewegend ist das alles nicht, und sympathisch ist eigentlich niemand im Personal von „Räuber und Gendarm“, selbst die nicht, die sich aus Gutmütigkeit oder mangelndem eigenen Willen von aller Welt ausnutzen lassen, so wie etwa das Mädchen aus der Titelgeschichte, die sich bei einer Schottlandreise von ihrer Freundin gängeln lässt. Man beobachtet ihr Leid ebenso wie ihre kleine Rache aus der Distanz.

Das mag auch daran liegen, dass der Autorin jeglicher missionarischer Eifer fremd ist, auch wenn sie durchaus moralische Themen anspricht, vor allem was unsere Verantwortung anderen Menschen gegenüber angeht. Doch Kurtz weigert sich, ihre Botschaften auszubuchstabieren. Sie verrätselt ihre Geschichten zum Ende hin gerne ein wenig, es gibt keinen wirklich offenen Schluss, aber einen, bei dem man sich seinen Teil denken soll.

Das ist durchaus legitim, wenn auch für jemanden, der sich so konsequent eigener Kommentare enthält, der beobachtende Blick auf die Welt noch etwas schärfer sein dürfte. Noch sind die Kostüme mancher Figuren eher dem Schulspielfundus entnommen als einer professionellen Theatertruppe, kaum einem von ihnen gelingt es, wie E. M. Forster es forderte, uns auf eine überzeugende Art zu überraschen. Dafür lässt sich Kurtz noch zu wenig auf das ein, wovon sie erzählt.SEBASTIAN DOMSCH

Mascha Kurtz: „Räuber und Gendarm.“ Erzählungen. Liebeskind Verlag, München 2005. 127 Seiten, 14,90 Euro