Meditationsversuche

Im Dharma Hermitage im Süden Thailands wird die „Mindfullness“, Geistesgegenwart, gelehrt. Eine Woche wird nicht gesprochen. Nicht viele halten diese Form der Selbsterfahrung durch

von KATJA HANKE

Ungefähr hundert Leute sitzen mit aufrechtem Rücken in der Meditationshalle, die aus einem Betonboden, Säulen und einem Dach besteht. Es ist früher Abend. Vorn sitzt Reinhard, Deutscher, der „internationale Koordinator“ des Meditationskurses: kurz geschorene Haare, runde Brille, weite Leinenhose und -bluse. Neben ihm brennen dicke Kerzen. Grillen zirpen und eine Brise weht durch die Halle. In Thailand gibt es viele Meditationszentren. Die meisten davon sind in Touristenorten und gehören Ausländern. Das „International Dharma Hermitage“ im Süden Thailands ist Teil des angesehenen Lehrklosters Suan Mokkh bei Chaya, hundert Kilometer nördlich von Surat Thani. Umgeben von grünen Hügeln liegt das Zentrum idyllisch in einem Kokospalmenhain. Der Abt des Klosters, Ajahn Poh, hat es vor sechzehn Jahren gegründet. Seitdem findet jeden Monat ein zehntägiges Meditationsretreat für Ausländer statt. Und jeden Monat kommen ungefähr hundert Interessierte.

Mindfullness, Anapanasat oder auf deutsch Geistesgegenwart, werden wir trainieren. „Wir müssen uns auf eine Sache konzentrieren: den Atem“, sagt Reinhard an diesem ersten Abend. Er spricht mit sanfter Stimme ins Mikrofon und nennt uns „gute Freunde“. Sein Gesicht flackert im Kerzenschein. Ein Vogel ruft aus dem Dschungel und ein Hauch von Verschwörung und Sektenkitsch liegt in der Luft.

Koordinatorin Lisa zeigt den Frauen das Schlafgebäude. Die Zimmer sind Betonzellen, die um einen Hof angeordnet sind. In jeder steht ein hölzernes Bettgestell, darauf eine dünne Strohmatte und ein Holzkopfkissen. Dann spricht Lisa über die Regeln, viele Regeln. Lisa trägt sie mit einem sanften Lächeln vor. Das Wichtigste, sagt sie, sei das zehntägige Schweigen, denn „nur wenn wir nicht sprechen, können wir uns völlig auf unseren Geist konzentrieren“.

Jeden Morgen reißt uns ein Gong um vier Uhr aus dem Tiefschlaf. Lautlos schlurfen wir durch die Dunkelheit. Morgenmeditation. Vor Sonnenaufgang, sagt Lisa, sei die beste Zeit. Danach machen wir Yoga, jeden Morgen, eine Stunde. Draußen wird es hell. Um 8 Uhr gibt es Frühstück: pampige Reissuppe mit viel Knoblauch und wenig Salz, dazu wässriger Tee. Ajahn Poh, der Abt des Klosters, spricht zweimal täglich über Buddhismus und Meditation. Wie ein ockerfarbener Fels sitzt er vorm Mikrofon. Er redet schleppend. Anapanasati, sagt er, beruhige den Körper und schärfe den Verstand. Ganz einfach einatmen und ausatmen. Die Glocke läutet zum Mittagessen, der zweiten und letzten Mahlzeit des Tages. Wir gehen zum Speisesaal. Beim Essen starren wir ins Leere, umfassen die Metallschüssel und kauen hingebungsvoll das breiige Mahl. Eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, als schmerze jeder Biss. Einatmen, ausatmen.

Jeden Tag erklärt Ajahn Poh neue Schritte von Anapanasati – in nahezu unverständlichem Englisch. „Konzentrieren“, „atmen“. Mehr verstehe ich nicht. Wir üben. Einatmen, ausatmen.

Meine Gedanken kreisen, springen in die Vergangenheit, dann in die Zukunft. „Das ist Monkey-Mind“, sagt ein Mönch später: Gedanken, die ständig wie ein Äffchen umherspringen. Sie sind das größte Problem beim Meditieren. Einatmen, ausatmen. Und kurzzeitig schüttele ich sie ab, werde schwer und angenehm ruhig.

„Glückwunsch, ihr seid noch hier“, sagt Lisa am fünften Morgen. Das Schlimmste sei jetzt vorbei. Aber auch in den nächsten Tagen reisen weitere Teilnehmer ab. Ab jetzt können wir mit Mönchen oder Betreuern über Probleme beim Meditieren sprechen, mit Voranmeldung, fünfzehn Minuten lang. Ich erfahre, dass ich mir den Atem wie eine Kugel vorstellen soll, die durch die Luftröhre rollt, von der Nasenspitze bis in den Bauch. Kurzzeitig ist mein Kopf völlig leer. Am nächsten Tag aber laufen die Gedanken wieder davon. Ich hole sie zurück. Sie büchsen wieder aus, werden immer mehr und rasen durcheinander in meinem Kopf.

Einige Teilnehmer meditieren ab dem achten Tag überhaupt nicht mehr. Sie schlafen, lesen und unterhalten sich. Ich orientiere mich neu: ringe nicht mehr mit Gedanken und Atem, sondern genieße die üppige Natur. Von den Bäumen trällern, schnattern und fiepen Vögel, was beruhigender ist als meine Meditationsversuche. Am letzten Morgen dankt uns Ajahn Poh für unser Bemühen. Plötzlich verpuffen die unangenehmen Dinge der letzten Tage: der Hunger, die Müdigkeit und Frustration. Einatmen, ausatmen. Das Schweigen ist vorbei.

Beatrice sah gestern noch leidend aus. „Man muss sich abgrenzen“, sagt sie beim Frühstück im Dorf und lacht. „Sonst kann man sich nicht konzentrieren.“ Vier Retreats hat sie schon gemacht. Und eines sei immer gleich: Am achten Tag werden viele unruhig und hören auf zu meditieren. „Aber das lernt man nicht in zehn Tagen. Mach doch ein zweites Retreat“, sagt sie enthusiastisch. „Dann ist es viel besser.“ „Ja, vielleicht“, murmele ich, beiße in mein Donut und trinke einen großen Schluck Kaffee. Herrlich. Einatmen, ausatmen.

Das Kloster Suan Mokkh ist im Süden Thailands. Von Bangkok fährt man am besten mit dem Nachtzug (im Schlafwagen für 10–20 Euro) bis nach Chaiya. Von dort fahren regelmäßig Sawngthaews (umgebaute Minivans mit zwei langen Sitzbänken) zum Kloster. Man sollte am letzten Tag des Monats anreisen und sich im Kloster anmelden. Am Nachmittag finden Einführungsveranstaltungen statt. Das Retreat kostet 1.500 Baht (rund 30 Euro). Übernachtung und Essen sind im Preis enthalten. Wat Suan Mokkh Chaiya, Surat Thani, 84110 Thailand, www.suanmokkh.org, www.retreat-infos.de