Zur Gebührenkasse!

Gering verdienen reicht nicht mehr: Wer sich von den Rundfunkgebühren befreien lassen will, muss künftig mindestens Anrecht auf Hartz IV haben

VON ULRIKE KOPETZKY

Nach dem In-Kraft-Treten von Hartz IV ist die Not nicht nur bei den Beziehern des neuen Arbeitslosengeld II groß. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind nun auf der fieberhaften Suche nach neuen Einnahmequellen. 300 Millionen Euro pro Jahr sollen ihnen laut Stern durch die Reform verloren gehen – denn wer einen ALG-II-Bescheid hat, gilt offiziell als bedürftig und kann sich deshalb von der Rundfunkgebühr befreien lassen. Wie können ARD und ZDF also ihre Einnahmen sichern, wenn der Staat immer mehr Leute aus der Gebührenpflicht entlässt?

Hilfe kommt immerhin von den Landtagen. Die haben im neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag verbindlich festgelegt, wer in Zukunft noch als bedürftig gilt und wer nicht. Was im Trubel um die geringer ausgefallene Gebührenerhöhung kaum aufgefallen ist: Die neuen Befreiungsregeln sind wesentlich restriktiver als die alten. Doch damit nicht genug. Fast genauso unbemerkt sind Sozialämter und Bürgerbüros, die bisher Anlaufstellen für Befreiungsanträge waren oder sogar über sie entschieden, entmachtet worden. Das Szepter geht an die Rundfunkanstalten, und die delegieren das Befreiungsgeschäft weiter an die GEZ. Wer zur Gebührenkasse gebeten wird, entscheidet also in Zukunft Institutionen, die selbst von diesen Geldern abhängig sind. Eine mehr als zweifelhafte Regelung.

Noch bis zum 31. März gelten die Befreiungsverordnungen der Länder, dann tritt der Staatsvertrag zur Neuregelung der Rundfunkgebühren in Kraft. Bisher wurde befreit aus gesundheitlichen Gründen – so bei behinderten Personen – oder aus sozialen Gründen – wie bei Bezug von Sozialhilfe. Auch Menschen mit niedrigem Einkommen hatten eine Chance. Allerdings: Im Laufe der Jahre erhielten in fast allen Bundesländern die Rundfunkanstalten die Entscheidungsmacht über mögliche Befreiungen. Nur Nordrhein-Westfalen blieb als letzte Bastion übrig, in der noch die Ämter dieses Recht hatten – hier ist die Befreiungsquote übrigens vergleichsweise hoch gewesen. Doch mit dem neuen Staatsvertrag fällt auch diese Festung. Nun erwartet man eine Flut von Widersprüchen und Eingaben bei den Petitionsausschüssen, denn – wie aus dem Landtag von NRW zu hören ist – die Masse der Anträge wurde wegen geringer Einkommen gestellt. Der neue Vertrag legt nun zehn Befreiungstatbestände fest, und zwar nur noch für Personen mit Bescheiden wie ALG II oder Behindertenausweis. Eine Härtefallregelung für Menschen mit geringem Einkommen ist nicht vorgesehen. Nicole Hurst von der Pressestelle der GEZ kommentiert: „Damit sollte die aufwändige Einkommens- und Bedarfsprüfung bei den Ämtern ein Ende haben.“

Dass das nicht ganz uneigennützig ist, erfährt man dann aus der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, die den Vorsitz in der Rundfunkkommission hat: In Zukunft fällt jegliche Bedürftigkeitsprüfung bei den Sendern weg. Und über die Anwendung und Auslegung der neuen Tatbestände können die Sender eigenständig entscheiden. Was das bedeutet, lässt sich am Beispiel 1-Euro-Jobber zeigen. Sowohl aus der Rundfunkgebührenstelle im Rundfunk Berlin-Brandenburg als auch vom Hessischen Rundfunk ist zu hören, dass diese Sender die Geringstverdiener zur Kasse bitten wollen – obwohl sie über einen ALG-II-Bescheid verfügen und somit einen Befreiungstatbestand erfüllen. Fragt man bei den zuständigen Bundesministerien nach, zweifeln diese die Vertragsauslegung seitens der Sender vorsichtig an. Doch Handlungsbedarf sieht man anscheinend nicht. Wieder können die Sender in eigener Sache entscheiden.