„Wir reden auch mit Rechten“

Aufklären und Vorurteile abbauen sei der Auftrag der Germania Judaica, meint Annette Haller, Chefin der größten Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums in Europa am Kölner Neumarkt

INTERVIEW CLAUDIA LEHNEN

taz: Frau Haller, viele Kölner wissen gar nicht von der Existenz der Germania Judaica. Warum ist das so?

Annette Haller: In den 70er, 80er Jahren war das wohl Politik: Man wollte die Bibliothek nicht allzu bekannt machen, um Rechte nicht anzuziehen. Mittlerweile denke ich aber, dass Rechtsradikale sich ihre Literatur woanders her holen. Die haben ihre Quellen und sind auf uns nicht angewiesen.

Würden Rechte in Ihrer Bibliothek denn fündig werden?

Nein. Antisemitische Schriften kann man bei uns ohnehin nicht ohne weiteres einsehen oder ausleihen. Man braucht dafür schon eine Begründung. Wir kriegen ja mit, wo Seminare zum Thema Antisemitismus laufen. Ehrenhafte Wissenschaftler zeigen dann auch ihren Ausweis.

Könnte man die Bibliothek nicht bekannter machen, indem man Autoren einlädt und Lesungen veranstaltet?

Das machen wir auch. Im Moment sind wir hier aber nur zu zweit. Veranstaltungen machen sehr viel Arbeit, das schaffen wir kaum. Außerdem ist es ein finanzielles Problem. Wir können nicht zum Beispiel Amos Oz einladen, weil wir einfach kein Geld dafür haben. Manchmal hängen wir uns aber an Veranstaltungen vom NS-Dokumentationszentrum an.

Wie kam es überhaupt zu einer Bibliothek über die Geschichte des Judentums?

Da hat sich 1959 eine Bürgerinitiative zusammengefunden. Heinrich Böll, der damalige Kulturdezernent der Stadt Köln, Kurt Hackenberg, der Buchhändler Karl Keller, der Schriftsteller Paul Schallück, der Journalist Wilhelm Unger und der Verleger Ernst Brücher haben durch verschiedene Anlässe gespürt, dass man eine Bibliothek zur Geschichte des Judentums gründen muss. Es gab zum Beispiel von Seiten der Studentinnen und Studenten immer wieder die Frage: Wo bekomme ich denn Bücher zum Judentum her? Ein anderer äußerer Anlass waren auch antisemitische Vorfälle kurz nach dem Krieg. Zum Beispiel wurden jüdische Friedhöfe geschändet. Man erklärte sich diese Vorfälle dadurch, dass immer noch Vorurteile existierten und dass die Menschen wenig über das Judentum wussten. So kam man auf die Idee, aufzuklären. Nicht nur durch eine Bibliothek, sondern auch durch Seminare und Vorträge. Die anderen Aktivitäten sind eingeschlafen, weil die Finanzierung ausgeblieben ist.

Welche Art von Büchern stehen denn in Ihren Regalen?

Das ist eine Mischung von allem. Das sind hauptsächlich wissenschaftliche, historische Bücher, das sind Quellensammlungen, Autobiographien, Romane, Krimis, Poesie, Kinderliteratur und jede Menge deutsch-jüdische Zeitungen und Zeitschriften. Das geht von Büchern zur jüdischen Religion, dem jüdischen Erziehungswesen, über jüdische Musik bis hin zu Regional- und Lokalgeschichte, dem Israel-Palästina-Konflikt und jüdischer Kultur heute.

Welches Buch nehmen Sie denn aus privatem Interesse am häufigsten zur Hand?

Ich bin vor allem lokalgeschichtlich interessiert. Bücher hierzu spiegeln den Reichtum wider, der verloren gegangen ist. Gerade im Moment habe ich einen Bildband „Juden in Ostpreußen“ vor mir liegen. Der ist hochinteressant.

Welche Menschen besuchen Ihre Bibliothek?

Hauptsächlich Wissenschaftler und Studenten aus den umliegenden Universitäten. Aber auch Medienleute. Als Schindlers Liste im Kino anlief, kamen ganz viele Journalisten und wollten wissen, was das für Menschen waren, die Juden gerettet haben. Dann natürlich Lehrer und Schüler. Wir haben auch eine sehr gute Abteilung zum Thema Didaktik. Es kommen aber auch Leute, die Belletristik suchen und Genealogen, also Stammbaum-Forscher.

Gibt es Besucher, die sich antisemitisch äußern?

Na klar. Gerade in den 80er Jahren hatten wir immer wieder rechtsradikale Aufkleber in den Büchern oder eingelegte Pamphlete. Dann gibt es natürlich auch so Ewiggestrige, die mit uns diskutieren und uns zu beweisen versuchen, dass nicht sechs Millionen Juden ermordet wurden, sondern nur 5,5 Millionen. Mit denen sprechen wir auch. Aber diese Leute kommen meistens nur einmal.

Reichen denn die finanziellen Mittel aus, um alle Neuerscheinungen anzuschaffen?

Nein, überhaupt nicht. Das hängt aber auch damit zusammen, dass sehr viel erscheint zu unserem Thema. Vor allem zur Verfolgungsgeschichte, zu Nazismus und Antisemitismus. Mit unserem Jahresetat von gut 9.000 Euro können wir da nicht alles kaufen. Aber wir bekommen ein Viertel unserer Bücher geschenkt.

Wenn Sie für die Zukunft einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für die Germania Judaica wünschen?

Ausreichend Mittel für Computer, Bücher, Buchpflege, aber auch für das Personal. Damit steht und fällt unsere Arbeit.