Chance oder Nische?

Der Girls‘ Day will Mädchen einen ersten Einblick in die Arbeitswelt gewähren. Rausgeschmissenes Geld, sagen Kritikerinnen: „Mädchen müssen nicht behütet werden, sondern sich trauen“

von Peggy Wolf

Deutschlands Mädchen sind konservativ. Seit über 20 Jahren, so belegen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, stehen Büro- und Bankkauffrau, Arzthelferin und Friseurin ganz oben auf der Liste der beliebtesten Lehrberufe. Zuhauf gibt es Berufsorientierungsprogramme: Kammern und Verbände, Genossenschaften, die Agenturen für Arbeit, Firmen und Lehrer bemühen sich mit Vorträgen, Tagen der offenen Tür oder Praktikumsangeboten, der weiblichen Klientel Berufe wie Polizistin, Elektrikerin oder Werkzeugmacherin schmackhaft zu machen.

Denn es fehlt an qualifiziertem Nachwuchs. „Mindestens Hauptschulabschluss, wenigstens eine 3 in Mathe und Deutsch, dazu Interesse, Hartnäckigkeit, Ehrlichkeit, Freundlichkeit“, umreißt Angela Hellberg, Referentin für Bildungspolitik bei der Handwerkskammer Hamburg, die generellen Ansprüche.

Mädchen und junge Frauen sind da besonders willkommen, weil sie diese Erwartungen oft übererfüllen. Im Schuljahr 2002/2003 machte jede Zweite den Realschulabschluss, jede Vierte Abitur. „Unter den Top Ten der Lehrberufe ist aber keiner, der technisches Können verlangt oder vermittelt, und auch bei der Studienplatzwahl fällt die Entscheidung meistens zugunsten der Geisteswissenschaften“, sagt Carmen Ruffer. Sie ist Leiterin des „Kompetenzzentrums Frauen in Informationsgesellschaft und Technologie“/Bielefeld und gemeinsam mit sechs Kolleginnen zuständig für den reibungslosen Ablauf eines bundesweit organisierten Veranstaltungstages: „Damit Mädchen künftig aus einem breiteren Spektrum wählen können, muss es den Girls‘ Day geben.“

Im Bundeskanzleramt gibt‘s eine Talkrunde

Die Idee dazu stammt aus den USA. An einem Tag im Jahr nehmen dort Mütter wie Väter ihre Kinder mit an ihre Arbeitsplätze. In Deutschland drehen oder fräsen 10- bis 17-jährige Mädchen unabhängig vom Beruf der Eltern an Werkbänken, lernen das Innenleben von Computern kennen, erleben an Universitäten und Hochschulen erste Vorlesungen, und sogar die Regierungszentrale öffnet ihre Türen – für eine Talkrunde: „Jobs im Bundeskanzleramt“. Der Girls‘ Day „gestattet einen Einblick in die Arbeitswelt“, sagt Ruffer, „er soll bei der Suche nach dem Weg zur Arbeitsstelle einen Anfang machen. Er eröffnet Möglichkeiten, Kontakte für Praktika, Ferienjobs oder sogar für die Lehre zu knüpfen, oder hilft, ein passendes Studium zu finden.“

Mädchen müssten von Eltern und auch Lehrern generell entsprechend unterstützt werden, müssten lernen, Pläne zu schmieden und Widerstände zu umschiffen, fordert hingegen Carola Heldt. „Es fehlt hier in Deutschland immer noch die Überzeugung, dass Mädchen oder Frauen heute einfach alles machen können, was sie wollen“, bemängelt die Mitarbeiterin im Expertinnenberatungsnetz der Universität Hamburg, das Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren beim Berufsein-, um-, und -aufstieg hilft. „Den Jungs wird immer noch eingebläut, sie müssten die Familie ernähren, und den Mädchen wird einbebläut, sie seien auf der Welt, um Kinder großzuziehen und den Ehemann zu umsorgen“, sagt Heldt. „Daran muss sich endlich etwas ändern.“

Die Jungen gehen ganz normal zur Schule

Zum fünften Mal wird der Girls‘ Day in Deutschland veranstaltet, immer am vierten Donnerstag im April, in diesem Jahr ist das der 28. An diesem Tag haben Mädchen und junge Frauen unterrichtsfrei. Die Zuordnung auf die Betriebe und Einrichtungen geschieht über die Internet-Plattform www.girls-day.de oder direkt über das Bielefelder Kompetenzzentrum. Am diesjährigen Girls‘ Day werden bundesweit über 100.000 bei etwa 5.000 Veranstaltungen erwartet.

Und was machen die Jungen an diesem Tag? „Die gehen normal zur Schule“, sagt Carmen Ruffer. „In vielen Regionen gibt es aber auch für sie Veranstaltungen zur Berufsorientierung oder zu Themen über Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ – organisiert von Eltern, Schulen und Unternehmen, gemeinsam mit regionalen Arbeitskreisen. Ein Girls‘ and Boys‘ Day, wie bisher allein in Brandenburg praktiziert, ist für Ruffer keine Alternative: „Für uns als bundesweite Organisation“, sagt sie, „wird der Girls‘ Day ausschließlich ein Tag für Mädchen bleiben.“

„Auch daran sollte sich etwas ändern“, fordert Carola Heldt. „Mädchen müssen nicht behütet, sondern losgelassen werden, frei entscheiden dürfen und sich trauen.“ Dass Frauen nicht nur in technischen Berufen, sondern auch in Führungsetagen fehlen, daran, sagt Heldt, seien deshalb auch „weder Männer noch Firmen“ schuld: „Frauen kneifen, wenn es Schwierigkeiten gibt, sie kämpfen nicht und machen es sich als ‚Nur-Hausfrauen‘ mit der Kindererziehung bequem.“

Eine Million Euro geben die Förderer des Girls‘ Day jährlich für diesen Tag aus. „Rausgeschmissenes Geld“, sagt Carola Heldt. „So lernen weder Mäd- chen noch Jungen, sich eigenverantwortlich um ihre berufliche Zukunft zu kümmern.“ Schließlich könne heute jede und jeder dort nützlich sein, wo ihre oder seine Fähigkeiten und Kenntnisse gebraucht werden. Doch dafür müsse man etwas tun, „immer – nicht nur an einem Tag, der bequem vorbereitet ist und wenig Initiative verlangt“.