BRAINSTORM

Der Volksmund weiß: Wahnsinn und Genie liegen nah beieinander. Trotz des Wissens um definitorische Unschärfen – oder gerade deshalb – galt die positive Diagnose einer psychischen Abnormität lange Zeit als Einbahnstraße für die Gefangenschaft in der Psychiatrie. Erst die Psychiatrie-Reformbewegung der 70er leitete ein Umdenken ein, an dessen Umsetzung es bis heute noch mangelt. Umso wichtiger sind daher Veranstaltungen, die mit der Idee brechen, Verrückte als „Abnormale“ wegzusperren. Am Sonntag zeigt der Bremer Künstler Dieter Begemann, wie schwer die Trennung von „gesund“ und „krank“ selbst in der Literatur aufrecht zu halten ist, mit Gedichten und Geschichten von Tucholsky, Sybille Lewitscharoff, Klabund, Rainald Götz und anderen. „Wenn die Schwindsucht (und der Wahnsinn) galoppieren…“ heißt die Lesung und beginnt um 16 Uhr in der Galerie im Park beim Krankenhauses Bremen-Ost in der Züricher Straße 40.

Bipolar könnte man auch die Veranstaltungslage am Mittwoch beschreiben. Einerseits wird der emeritierte Hamburger Politikprofessor Udo Bermbach in seinem Vortrag „Richard Wagner in Deutschland – Zur Rezeption, Verfälschung und politischen Indienstnahme seines Denkens“ erklären, warum die Nazis Wagners Aufsätze und Tiraden gegen die Juden anscheinend nur missverstanden haben. Ab 19 Uhr kann man sich als Freund des antisemitischen Komponisten in der Theatergalerie im Theater am Goetheplatz ein gutes Gewissen einreden lassen.

Die dort gesammelten empirischen Eindrücke können dann am gleichen Abend nur eine Stunde später theoretisch verarbeitet werden. „Volksgemeinschaft, Täterschaft, Antisemitismus. Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen“ heißt das neue Buch von Isabelle Hannemann, Rolf Pohl und Sebastian Winter. Um 20 Uhr stellen sie es im Infoladen Bremen in der St.-Pauli-Straße 10 vor und diskutieren darüber.  JPB