Weltlicher Beistand als Notnagel

Die Tage der Katholischen Öffentlichen Bücherei Sankt Michael im Bonner Westen sind gezählt. Das Erzbistum will das Gebäude verpachten. Gemeindemitglieder kämpfen für den Erhalt der Einrichtung

Von MARTIN OCHMANN

Der Stadtteil rund um die Pfarrkirche Sankt Michael im Bonner Westen ist nicht gerade das, was man ein lebendiges, gewachsenes Viertel nennen würde: Nachkriegswohnbebauung, keine Läden, keine Kneipen. Selbst für ein paar Brötchen muss man die Bundesstraße überqueren und dahin gehen, wo die großen Einkaufsmärkte sind und sich keine Kirchtürme, sondern die Schornsteine der Müllverbrennungsanlage in den Himmel recken.

In solchen Stadtteilen ist man umso dankbarer für das, was dem Viertel Charme, Charakter und Leben verleiht. Und entsprechend bedrückt, wenn so ein Anlaufpunkt verschwinden soll. Wie etwa die Katholische Öffentliche Bücherei Sankt Michael. Es ist Freitag Nachmittag. In den zwei kleinen Räumen der Bücherei stehen fröhlich plappernde Kinder an. Die Mitarbeiterinnen an der Ausgabe sind redlich bemüht, dem Ansturm und dem Lärmpegel Stand zu halten. Abenteuergeschichten und Sachbücher gehen vor dem Wochenende über den Tisch.

Seit 1977 sorgt Mechthild Schüth dafür, dass der Laden läuft. 4.500 Medien können hier ausgeliehen werden, neben Büchern auch Filme und Hörspiele. „Das hier ist das Kommunikationszentrum in unserer Gegend. Wenn das geschlossen wird, ist das in der Weststadt ein echtes Problem“, sagt Schüth.

Doch die Tage der Bücherei sind gezählt. Das Erzbistum muss sparen, und die Gemeinden sollen dazu beitragen. Der übergeordnete Pfarrverband Sankt Maria Magdalena will das Gebäude, in dem die Bücherei ihre Räume hat, künftig verpachten. Den endgültigen Beschluss wird der Kirchenvorstand diesen Sommer fassen. Gegen diese Pläne sammeln die Gemeindemitglieder Unterschriften. Die Unterstützung für die Büchereifreunde ist groß. Über 300 Anwohner haben sich auf den Listen für den Erhalt der Bücherei ausgesprochen.

In dem Gebäude ist auch der Kindergarten der Gemeinde untergebracht. Dieser wird im Juli 2006 geschlossen. Zur Begründung verweist Pfarrer Alfons Adelkamp auf die demografische Entwicklung und bemüht eine eher kirchenuntypische Argumentation. Der Kindergarten sei „unwirtschaftlich“ und deswegen „nicht tragbar“.

Die Schließung der Bücherei begründet der Pfarrer maßgeblich mit der Schließung des Kindergartens, sie „dümple dann so dahin“, so Adelkamp. Um fast im gleichen Atemzug zu bestätigen, dass die Katholische Bücherei Sankt Michael eine „sehr lebendige Einrichtung“ sei. Trotzdem, die Schließung sei „schade, aber notwendig“, meint Adelkamp. Die Gratwanderung zwischen Pflichterfüllung gegenüber dem Erzbistum und den Wünschen der Gemeinde setzt den Hirten merklich unter Druck. Entsprechend unwirsch nimmt er das Murren der Gemeinde zur Kenntnis. „Die Bücherei bekommt eine Wertigkeit, die sie nie gehabt hat“, sagt Adelkamp genervt, auch wenn das in der Gemeinde viele anders sehen.

Die unterschiedliche Wahrnehmung bezüglich des Stellenwerts der Bücherei verweist auf ein grundsätzliches Problem. Mit der Fusion der Gemeinden – auch eine Folge des Sparzwangs – scheint teilweise eine gewisse Entfremdung zwischen dem Seelsorger und seinen Gemeindemitgliedern einherzugehen. Während Adelkamp in seinem Pfarrverband vier Büchereien zählt und dem Protest gegen die Schließung zweier davon nur begrenztes Verständnis entgegen bringt, empfinden einige Gemeindemitglieder die Entscheidung des Kirchenvorstandes als aufgezwungene Entscheidung von außen. Umso mehr wird die eigene Bücherei als Identität stiftendes Element der Sankt Michael Gemeinde empfunden.

Wie gestört die Kommunikation ist, zeigt die Tatsache, dass den Gemeindemitgliedern bislang niemand offen gesagt hat, dass ihre Bücherei höchstwahrscheinlich den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen wird. Nun hofft man in der Gemeinde auf weltlichen Beistand. Laut wird darüber nachgedacht, ob die benachbarte Michaelschule die Räumlichkeiten nicht im Zuge ihrer Erweiterung zur Offenen Ganztagsschule nutzen kann. Konkrete Pläne jedoch gibt es dafür noch nicht.