Nicht ohne nackt

„Moveberlim“, das Berliner Festival für zeitgenössischen brasilianischen Tanz, stellt sechs Choreografen und Kompanien aus verschiedenen Regionen des Landes vor. Vor allem geht es um das Spiel mit dem kolonialistischen Blick, mit Exotik und Erotik

VON JANA SITTNICK

Auf der Bühne vibriert ein Mann. Im Halbdunkel sieht man die Umrisse seines Körpers, der sich dunkel vor den Mustern der beleuchteten Stoffwand – aneinander gereihte Karos in Grüngelbblauweiß – abhebt. Vom Band kommt Gesang – dissonant, nervtötend, es ist das Lied vom „schwarzen Fleisch“, das das billigste sei auf dem Markt. Die Szenerie macht auf Bedrohung, sie ist hässlich und auf abstruse Art sexuell, so als erwache ein Dämon, der Menschenkinder frisst. Im Zuschauerraum weint ein Kind.

Luiz de Abreu tanzt „O Samba do Crioulo Doido“, ein starkes, verwirrendes Solo im Eröffnungsprogramm des brasilianischen Tanzfestivals „Moveberlim“. Abreu arbeitet mit seinem „schwarzen Körper“ und mit den – historisch bestimmten – Bildern, die auf ihm lasten: Der dunkelhäutige Brasilianer zeigt die Diskriminierung hinter dem kolonialistisch geprägten, eurozentrischen Bild des „Exotischen“, spielt mit erotisch aufgeladenen Erwartungen und überführt die Gute-Laune-Hoffnung der Touristen als Klischee. Doch auch der selbstbestimmte Körper, der Körper als „Subjekt“ mit seiner Schönheit, Kraft und Vitalität, kommt zum Vorschein. Der Live-Percussionist Teo Ponciano komplettiert Abreus Bewegungen musikalisch.

Die „Samba des verrückten Negers“ ist eine exzentrische, brutale Travestie, die sich nicht um die Gunst des Zuschauers schert: Abreu tanzt nackt, in hochhackigen Silberstiefeln und mit wulstigem rotem Plastikmund. Er steckt seinen Penis so hinter den Hodensack, dass es aussieht, als würde er verschwinden. Auf dem Höhepunkt der „Einverleibung“ stopft er sich einen mit der brasilianischen Nationalflagge gemusterten Umhang in den Po und stolziert auf seinen Highheels damit herum wie ein schwuler Karnevalsprinz. Das Publikum kiekst angeekelt-verzückt. Am Ende der Vorstellung gibt es Bravo-Rufe und stehende Ovationen.

„Moveberlim“ ist das erste Berliner Festival für zeitgenössischen brasilianischen Tanz. Der erste Durchgang 2003 wurde ein Publikumserfolg, wegen der Stücke, aber auch, weil man hierzulande nichts weiß vom Tanz in Brasilien. „Als ich merkte, dass man brasilianischen Tanz kaum kennt, wollte ich den unbedingt hierher bringen“, sagt Wagner Carvalho, künstlerischer Leiter des Festivals. Gemeinsam mit Björn Dirk Schlüter, dem ehemaligen Leiter des Theaters am Halleschen Ufer, hat der Schauspieler und Tänzer „Moveberlim“ initiiert. Die Frage nach dem „Körper“, die so oft gestellt würde, sollte durch nichteuropäische Positionen erweitert werden. Außerdem sei in den letzten Jahren sehr viel passiert im brasilianischen Tanz, man hätte soziale Umbrüche reflektiert und radikale, mutige Formen entwickelt. Die veränderte soziale und politische Realität Brasiliens – im Januar 2003 gewann der linke Gewerkschaftsführer und Vorsitzende der Arbeiterpartei Lula da Silva die Präsidentschaftswahlen – würde sich, so Carvalho, im Tanz sehr viel stärker wiederfinden als im Sprechtheater.

Für „Moveberlim“, das durch den Hauptstadtkulturfonds und das brasilianische Kulturministerium gefördert wird, haben Carvalho und Schlüter sechs Choreografen und Kompanien aus verschiedenen Regionen des Riesenlandes ausgewählt. „Wir wollten nicht nur in den Metropolen gucken, wo die Leute eher die Möglichkeiten haben, auf Festivals aufzutreten und eingeladen zu werden“, sagt Björn Dirk Schlüter, „sondern auch an der Peripherie.“ So sind in Berlin Künstler aus Rio de Janeiro und São Paulo zu sehen, aber auch aus kleineren Städten wie Uberlandia und Florianopolis.

Aus Belo Horizonte, der Geburtsstadt des Kurators Wagner Carvalho, stammt auch der junge Choreograf Wagner Schwartz, der im Doppelprogramm mit Luiz de Abreu aus São Paulo das Festival eröffnet. Sein Solo, kurz und bündig „wagner ribot miranda xavier le schwartz transobjeto“ benannt, mäandert zwischen Protagonisten des europäischen Tanzes (La Ribot, Xavier le Roy, Pina Bausch) und einheimischen Ikonen wie Carmen Miranda. Schwartz mixt Volksmusik mit absurden Texten, dreht sich im Raum und zerquetscht Ananas-Papaya-Orangen in französischem Weißwein. Auch dieses Stück kommt nicht ohne Nacktheit aus. Schwartz jedoch ist zarter, verspielter, Genitalakrobatik kommt bei ihm nicht vor. Bekleidet mit einer langen roten Schürze ähnelt er eher einem Lustknaben als einem wütenden Dämon. Als der Protagonist ins Publikum herabsteigt und jemanden auffordert, sein Schürzenband zu lösen, herrscht angespannt voyeuristische Stille im Saal. Der nackte Hintern des Künstlers ist plötzlich so nah.

„Moveberlim“, bis 17. April, Hau 1–3, www.moveberlim.de