Protest zwischen Gittern

EXIL-IRANER Hamburg hat die zweitgrößte iranische Gemeinde Europas. Seit den Präsidentschaftswahlen demonstrieren hunderte vor dem Generalkonsulat gegen das Wahlergebnis – und sind sich dabei spinnefeind

VON MART-JAN KNOCHE

Wie bitte? Ob sie erkältet seien? Der Iraner lacht unter der weißen OP-Maske, die seinen Mund, die Nase und das Kinn verhüllt. So eine kleine alte Deutsche mit einer Einkaufstasche schaut ihn ganz besorgt an. Der Iraner trägt noch eine Sonnenbrille und eine weiße Mütze, aber man sieht trotzdem sein Lächeln. „Nein, nicht erkältet“, sagt er. „Keine Sorge.“

Seine Frau, auch Iranerin, auch OP-Maske und Sonnenbrille im Gesicht, schiebt die kleine Tochter in einer Karre auf die sonnige Wiese vor der Bebelallee Nummer 18 im Hamburger Stadtteil Winterhude. Sie blickt auf die andere Straßenseite, vorbei an den Protestlern und Polizisten, auf die umzäunte Villa aus rotem Klinker, und aus 24 Fenstern blickt das Generalkonsulat der Islamischen Republik Iran zurück. „Wir wollen nicht erkannt werden“, sagt die vermummte Iranerin zu der kleinen alten Deutschen. Proteste gegen das Regime würden von Konsulatsbeamten gefilmt und ihr Mann müsse bald in die Heimat reisen. „Ich mache mir Sorgen.“

Seit den Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 im Iran ist auf dieser Wiese viel Verkehr. Jede Woche Kundgebungen gegen das manipulierte Wahlergebnis. Gegen das Niederknüppeln der Menschen im Iran. So viele wie seit der islamischen Revolution 1979 nicht mehr. Vor einer Villa, in der die Islamische Republik seit drei Jahrzehnten konsularische Angelegenheiten bearbeitet. Wo Hamburger, Schleswig-Holsteiner, Bremer und Niedersachsen Visa oder Beglaubigungen für Dokumente beantragen können.

Seit dem 12. Juni protestieren hier sogar die iranischen Hamburger, die nicht politisch organisiert sind; die schweigende Mehrheit, die Hamburg nicht als politisches Exil versteht und die hier so zahlreich ist, dass sie der Stadt den Beinamen „Klein-Teheran“ einbrachte. Rund 15.000 iranisch-stämmige Menschen leben nach Umfragen des Statistischen Bundesamts in Hamburg. Sie verließen aus guten Gründen ihre Heimat oder wurden hier geboren, und sie meiden normalerweise die öffentlichen Auftritte der Exil-Parteien.

Normalerweise. Seit dem 12. Juni ist das anders, mehrmals flutete diese Mehrheit seither die politische Spielwiese der Exil-Parteien in der Bebelallee. Dass in Europa nur London eine größere iranische Gemeinde hat, zeigten sie erstmals in ihrer Erschütterung über die Gewalt gegen Demonstranten im Iran. Es ist eine junge Mehrheit. Eine iranische Studentengruppe gründete sich im Juni auf diesem Rasen. Nun organisiert sie Demos in der Stadtmitte und zieht die Masse mit der Farbe Grün, der Farbe der Bewegung im Iran, wieder weg von der Wiese.

„Diese jungen Reformer wissen nicht, was sie tun.“ Wie Exil-Politiker Farydon Gilani, 71, erster Sekretär der Sozialistischen Partei Iran (SPI), denken auf der Wiese die meisten: Auf sie, die Älteren, sollten die Grünschnäbel hören, denen es an Erfahrung und Weitsicht fehle. „Wenn sie die grüne Bewegung um Mussawi unterstützen, dann unterstützen sie einen Regime-Verbrecher.“ Im übrigen könne man nur der SPI trauen. Andere Parteien und Gruppen, so Gilani, seien „sponsored by CIA.“

Auch heute hat die Polizei das übliche Vermummungsverbot aufgehoben – um die Protest-Teilnehmer nicht zu gefährden. Niemand unter rund 200 Exil-Iranern hat sich vermummt, als identifizierte Verräter der islamischen Republik werden sie nicht in den Iran reisen. Hypochondrisch wirkt allein das Ehepaar mit den OP-Masken und dem Mädchen in der Karre.

„Ach, nicht erkältet?“ Die kleine alte Deutsche, die mit ihrem Einkaufsbeutel auf der Wiese steht, schaut sich um. Rechts steht die größere Menge, da wo auf den Fahnen goldene Löwen mit Säbeln prangen; links flattern auf rotem Stoff das schwarze Konterfei von Che Guevara und Hämmer und Sicheln. Wer denn die roten Fahnen da vorne schwenke, fragt die alte Deutsche argwöhnisch, was das denn für Leute seien?

„Die roten Socken“, sagt der vermummte iranische Vater. „Von der Arbeiterkommunistischen Partei Iran, A-P-I.“

„Ach. Und die nennt man auch bei ihnen so? Rote Socken?“

„Jaja.“ Der Vermummte kichert. „Bei uns nennt man die auch so.“

Zwei Lager sind es, auf eigenen Wunsch in der Mitte geteilt durch metallene Absperrungen der Polizei: Dort Monarchisten mit Löwen, hier Kommunisten mit Che. Durch drei Megaphone halten sie Reden, mal abgestimmt, mal durcheinander und rufen die eine gemeinsame Parole: „Tod der islamischen Republik!“

In Klumpen und Klümpchen haben sie sich separiert, unsichtbare Zonen abgesteckt, um gleichzeitig zu protestieren, aber jeder für sich, in einer eigenen Protestzone, in der die Fahnen und Parolen der jeweils anderen, der Verblendeten, nicht geduldet werden: Da sind die etwa 20 Leute der API, die sich 1991 von der KP Irans abspaltete. Gleich neben denen der API-H, den wiederum abgespalteten Hekmatisten, deren „-H“ die engere Nähe zum verstorbenen iranischen Kommunisten- und API-Gründer - Mansoor Hekmat zeigen soll.

Da klumpen sich die monarchistische Konstitutionelle Partei Iran (CPI) und die Volksmudschaheddin vom Nationalen Widerstandsrat Iran (NRWI), die Sozialistische Partei Iran (SPI) und die Kommunistische Partei Iran (KPI). Nur die Republikanische Union (RUI) und die kommunistische Tudeh Partei fehlen heute. Vielleicht weil sie sich mit der grünen Bewegung solidarisierten?

Von rund 15.000 Hamburger Iranern sind es diese einige hundert Oppositionelle, die am vehementesten den Sturz der Mullahs fordern und am lautesten über eine neue Revolution streiten. Je nach Ideologie über eine demokratische, monarchistisch-gekonterte, marxistische oder doch eher sozialistische. Immer wieder auf dieser Wiese. Wo sich die iranische Exil-Opposition in Hamburg öffentlich zersplittert.

Nächste Aktion der Studenten am Samstag von 13 bis 16 Uhr am Hachmannplatz (Hamburg)