Ästhetik des bösen Dings

NIPPES Eine „Enzyklopädie des Ungeschmacks“ stellt im Werkbundarchiv Exponate aus Giftschränken, Design-Verirrungen und Billigwaren aus

Es gibt sie noch, die bösen Dinge. In der Oranienstraße stehen sie in dunkel gebeizten Archivvitrinen und grinsen trotzig zurück. Ein stilisierter Totenschädel etwa, als Aschenbecher verkauft schon lange bevor sich sogenannte Subkulturen dieser morbiden Metapher bemächtigen sollten. Auch weniger Exzentrisches ist zu sehen, eine kleine Schale etwa, mit üppigem Dekor. All diese Dinge haben einen Museumsdirektor zur Weißglut getrieben. Sie gehören zu den gut 900 Exponaten, die Gustav E. Pazaurek, Leiter des Stuttgarter Landesgewerbemuseums, ab 1909 zu seiner zornigen „Sammlung der Geschmacksverwirrungen“ zusammengetragen hat.

Gut 50 dieser Exponate sind jetzt – nach langen Jahrzehnten in schwäbischen Museumskellern – im Werkbundarchiv – Museum der Dinge ausgestellt. In Dialog gesetzt werden sie mit Dingen, die gegenwärtig unsere Geschmacksnerven reizen. Offensichtlich Unkorrektes ist darunter, wie die zur Geldbörse umfunktionierte südostasiatische Kröte, die der Zoll in Tegel an der illegalen Einreise gehindert hat. Oder die brennenden Zwillingstürme des 11. Septembers, detailgetreu verwoben zu einem bettvorlegergroßen Perserteppich. Daneben hängt offensichtlich Geschmackloses: ein bestickter Klodeckel aus rosa Samt. Aber auch Designsuperstars haben es unter die bösen Dinge geschafft. Philipp Starcks Stehlampe etwa, die auf dem goldenen Plastikabguss eines Maschinengewehrs fußt. Nervt hier die gewalttätige Geste? Oder doch eher die postmoderne Beliebigkeit, mit der ein angeblicher Tabubruch in die Warenform gegossen wird?

Das ist wahrscheinlich der Schlüsselmoment von „Böse Dinge – Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“: Die Ausstellung rahmt eine Epoche, die wir für gemeinhin die Moderne nennen. Auf der einen Seite der getriebene Geschmackserzieher Gustav E. Pazaurek, der – und das bereits zehn Jahre vor der Gründung des Bauhauses – nach einer absoluten Ästhetik fahndet, nach einer Wahrheit der Ware. Auf der anderen Seite die oft auch lustvolle Orientierungslosigkeit einer postideologischen Epoche. Diese Ironie der Dinge, wenn etwa der zerknüllte Plastikbecher, diese Ikone der Wegwerfkultur, aus Porzellan nachgegossen wird. Wenn die Pointe, wenn das listige Lächeln, die Funktion, diesen Großmythos der Moderne ersetzt. Aber schließlich leben wir ja in einer Kultur der permanenten Remixe, Ableitungen und Nacherzählungen. Und das erzählen uns Dinge.

Aber andererseits: Die systematische Konsequenz, mit der Pazaurek sein Periodensystem der kunstgewerblichen Perversionen ausformuliert, bleibt auch in der Rückschau faszinierend und, ja, auch aktuell. Von „Material-Pimpeleien“ – „Pimp my Ding“ gewissermaßen – ist da bereits 1912 die Rede. Oder vom „Patenthumor“ der „unnützen, weil unernsten Erfindungen“. Wer also war nun dieser Mann? Ein Nerd, ein Produktreformer, ein Blockwart der Neuen Sachlichkeit? Gustav E. Pazaurek zeigt uns seine Dinge. Und wir bekommen eine ungefähre Ahnung davon, wer er war.

Ist es ohnehin eine Qualität des Museums der Dinge, seine Besucher immer inmitten ihrer eigenen Dinggeschichten abzuholen, geht diese Ausstellung im Übrigen noch einen Schritt weiter: Ganz persönliche böse Dinge, können – samt Inventarzettel – direkt in die Ausstellung eingefügt werden. Oder sie werden von den rumorenden Maschinen des Schweizer Künstlers Antoine Zgraggen gar lustvoll zerstört. Ein kathartischer Akt, der ganz nebenbei das Wesen des Museums, diesen Drang des Archivierens, nicht weniger lustvoll unterminiert. CLEMENS NIEDENTHAL

■ „Böse Dinge – eine Enzyklopädie des Ungeschmacks“, noch bis zum 30. November im Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Oranienstraße 25, freitags bis montags 12 bis 19 Uhr