Gelb für Biografisches

AUS DEM NACHLASS Die Akademie der Künste präsentiert erstmals Auszüge aus dem „Berliner Journal“ des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Sie zeigen einen genauen Beobachter von stilistischer Eleganz

Berlin: Gefühl von Vakuum ...

VON LAVINIA MEIER-EWERT

Der schweigend anwesende Dritte ist es häufig, der über Begegnungen die interessantesten Geschichten zu erzählen weiß. In den 29 nun erstmals öffentlich zugänglich gemachten Schreibmaschinenseiten seines „Berliner Journals“, die in der Ausstellung „100 Jahre Max Frisch“ in der Akademie der Künste zu besichtigen sind, ist dieser feine Beobachter der Schriftsteller Max Frisch.

Offizielle Treffen mit DDR-Autoren – „Hackepeter-Gemütlichkeit“ und „viel, viel Respekt für den ausländischen Gast“ – seziert er ebenso wie Abendessen mit Freunden. Wie Frisch etwa die Ehepaare Christa und Gerhard Wolf und Uwe und Elisabeth Johnson charakterisiert, das ist von so treffender Genauigkeit, niemals verurteilend, doch durchaus unbarmherzig, dass nachvollziehbar wird, warum er das Journal für 20 Jahre nach seinem Tod sperren ließ.

„Christa Wolf und ihr Mann sehr offen, locker, wach, differenziert in der Antwort, nicht ausweichend und nicht rechthaberisch, unfanatisch. Als ich dazukomme, hat Uwe schon ziemlich getrunken; Rötung des Kopfes, dann unterbricht er jeden oder hält, wenn der andere spricht, sofort die Hand auf: Wortmeldung. Thema DDR, was sonst.“ Dem nach Westberlin gezogenen Johnson attestiert Frisch: „Er verlangt von den andern ein schlechtes Gewissen ... Elisabeth, obschon lächelnd, sekundiert … eine Art von Heimweh-Hass.“

Obgleich von „unbestreitbarem literarischem und öffentlichem Interesse“, so Stiftungspräsident Peter von Matt, ist der Rat der Max-Frisch-Stiftung übereingekommen, das Journal aus den Jahren 1973–1980 auch nach Ablauf der Sperrfrist 2011 noch nicht zu veröffentlichen. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen, vor allem wohl in Hinblick auf die Schilderungen der zu Ende gehenden Ehe mit Marianne Oellers. Mit ihr war Frisch 1973 nach Friedenau gezogen.

„Man ist wacher als anderswo“, beschreibt der Schweizer den befreienden Effekt der Stadt auf ihn: „Berlin: Gefühl von Vakuum, die weiten Strassen, es ist angenehm mit dem Wagen zu fahren: steigt man aus, um zufuss zu gehen, so hat man überall das Gefühl, hier findet Berlin nicht statt.“

Was es über das Journal hinaus in dieser Literaturausstellung zu lesen gibt, ist überschaubar, Kuratorin Annemarie Hürlimann setzt auf Multimedia. Kaum papierne Originale in Vitrinen, sondern 70 kleine Bildschirme an schwarzen Gelenkarmen, aufgeteilt in 18 Stationen.

Das Zusammenspiel von Form und Inhalt dieser Inszenierung erweist sich als ein äußerst Frisch-gemäßer Zugang zu Frisch. „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“, heißt es im Roman „Mein Name sei Gantenbein“. Wie sich Frischs literarische Annäherung an Identität und ihre Erzählbarkeit in seinen Werken poetisch vollzieht, so kann sich hier der Besucher selbst die Identitätsbausteine eines Lebens zusammensetzen.

Max Frisch, der disziplinierte Schreiber, der mit seinem Einfingergetippe auf der Schreibmaschine Ingeborg Bachmann im Nebenzimmer nervte. Der Ordnungsfanatiker, der sein Tagebuch auf buntem Papier schrieb: Gelb für Biografisches, Weiß für Literarisches, Zitate grün.

Max Frisch, der politisch Engagierte; auf einem Monitor erinnert sich Helmut Schmidt, wie er am Vorabend der Geiselbefreiung in Mogadischu 1977 mit Max Frisch, Heinrich Böll und Siegfried Lenz über Terrorismus diskutierte. Ganz wehmütig wird man angesichts dieses selbstverständlichen Umgangs von Politikern mit Intellektuellen.

„Literatur lebt durch ihre Rezeption“, lautet der Ansatz der Ausstellung. Die ist im Fall der Statements von Frisch-Lesern über Frisch-Werke ein wenig langweilig, aber immer dann spannend und berührend, wenn die Protagonisten der kurzen Filme etwas zu erzählen haben. Der Komponist Hans Werner Henze zischt über diesen „Kerl“, der seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann zerstörte, verächtlich: „ein Schweizer Architekt“. Ein Brief des Verlegers Siegfried Unseld, aus dem Häuschen angesichts der höchsten Honorarabrechnungen der Verlagsgeschichte.

Wenn auch manches Werk Frischs heute konstruiert erscheint, arg zeitgebunden – nach dem Erkunden der Fundstücke überwiegt die Freude an den präzisen Beschreibungen in seinen Notizen, an seiner Unbestechlichkeit, der stilistischen Eleganz: Man müsste jetzt wirklich noch mal die Tagebücher lesen.

■ „100 Jahre Max Frisch – Eine Ausstellung“. Bis 11. März in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10. Der schöne, als persönliches Notizbuch gestaltete Ausstellungsbegleiter kostet 14 Euro