Zwiegespräch im Paternoster

UNIVERSALGELEHRTER In der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften organisierte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp einen Abend über Gottfried Wilhelm Leibniz, mit oft überraschenden Ergebnissen

Auf den ersten Blick scheinen Wissenschaft und Kunst wenig gemein zu haben. Oft trennt sie schon das Selbstbild. Strebt die eine methodisch-rational nach Klarheit, spielt die andere gern mit dem Vieldeutigen und Unfertigen.

Für Gottfried Wilhelm Leibniz bildeten Kunst und Wissenschaft dennoch keinen Gegensatz. Er sah in ihnen „unterschiedliche, aber gleichberechtigte Formen desselben Erkenntniswillens“, so der Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Den Künsten sei aber die höchste, weil intuitive Erkenntnisstufe vorbehalten.

Nicht zufällig widmete sich Bredekamp am Samstagabend in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften dem großen Universalgelehrten. Leibniz verkörpert exemplarisch die Idee hinter dem „Salon Sophie Charlotte“. Bredekamp führte für sechs Stunden Psychologen und Choreografinnen, Biologinnen und Literaten zusammen. Bis nach Mitternacht loteten sie bei zahlreichen Gesprächsrunden ihre Gemeinsamkeiten aus. Dazu gab es „Speed Science“ im Paternoster, bei dem für wenige Minuten das Zwiegespräch mit einem Akademiemitglied gesucht werden konnte. Im Foyer wartete „Das Archiv des Untoten“, das sich in Filmbeiträgen mit der Ästhetik des Zombiekinos ebenso befasste wie mit den medizinischen und sozialen Implikationen des Hirntods.

Diese große programmatische Bandbreite lockte ein Publikum aller Altersstufen in die Akademie. In den mit Sesseln, Stehlampen und Theaterscheinwerfern ausgestatteten Räumen und Fluren herrschte zeitweilig Platzmangel wie bei Erstsemester-Einführungen an der Universität.

Belohnt wurden die Besucher mit oft erfreulich zugänglichen Veranstaltungen. So umriss die Störungsökologin Anke Jentsch kurz und klar ihre aktuellen Forschungen. Jentsch untersucht die Auswirkungen von Dürre, Spätfrost oder Starkregen. Solche „Stressereignisse“ sorgen nicht zuletzt dafür, dass sich Lebenszyklen verschieben, sichtbar etwa in einer ungewöhnlich frühen Apfelblüte. Biologen befürchten, infolge des Klimawandels könnten sich in Mitteleuropa die Bestäubungsflüge der Insekten von den Blühzeiträumen zeitlich entkoppeln. Doch noch lasse sich dabei kein klares Muster erkennen. Vielleicht, so Jentsch, helfen hier neue Herangehensweisen.

Floristik als Klangteppich

Also hat sie ihre erhobenen Daten von Markus Popp (Oval) in Musik übertragen lassen. Seine Vertonung folgt Jentschs geschilderter Problematik einer „Verschiebung der Rhythmen über die Zeit“. Popps Tracks übersetzen die floristischen Daten in Klangteppiche mit eingestreuten Kontrapunkten. „Erstaunlich harmonisch“ wirkten die Stücke auf sie, bekannte die Forscherin, obwohl sie einen „enormen Stress in der Natur“ abbilden sollten.

Um das menschliche Eingreifen in die Natur ging es auch bei Horst Bredekamp. Er sprach über Leibniz’ Verhältnis zum Barockgarten von Herrenhausen. In ihm gewann der Frühaufklärer die Erkenntnis von der „dynamischen Tiefenstruktur“ der Natur. Auch in der geometrisch angelegten Grünanlage findet sich kein Blatt, das dem anderen gleicht. Der Garten stehe damit in Leibniz’ Denken für das „Ineinander von Ordnung und Freiheit“. Er sei „ein Kunstwerk, das sich euklidischen Regeln verdankt“, aber der Intuition Raum gibt.

Leibniz repräsentiert einen Gelehrtentypus, der in zahlreichen Disziplinen bewandert ist und ihre Erkenntnisse verbinden kann. Unerreichbar wirkt das heute, angesichts der immer noch zunehmenden akademischen Spezialisierung. Das muss die diversen Experten aber nicht daran hindern, das Gespräch miteinander und den Künstlern zu suchen. Wie anregend und unterhaltsam solche Begegnungen sein können, hat der „Salon Sophie Charlotte“ gezeigt.

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