Hybris und Muffensausen

ARD Bei der Premiere seiner neuen Mischmasch-Show „Gottschalk Live“ feiert Thomas Gottschalk vor allem sich selbst – und bietet viele Gelegenheiten zum Umschalten

VON DAVID DENK

Schon der Trailer ließ Schlimmes befürchten. „Er kennt die Welt, und die Welt kennt ihn“, sonort Robert De Niros deutsche Synchronstimme zu Aufnahmen eines durch Berlin chauffierten Thomas Gottschalk. ER beim Shakehands mit Barack Obama, ER beim Busseln mit Lady Gaga. WOW, schreien die Bilder, dieser Gottschalk ist so irre famous, dass wir, die ARD, es immer noch nicht fassen können, dass er bei uns unterschrieben hat. Und dann auch noch für eine Sendung am Vorabend!

Selbstbeschwipst

Das erste von drei wesentlichen Problemen der Premiere von „Gottschalk Live“ am Montag im Ersten war, dass Gottschalk mitgefeiert hat, sich mitgefeiert hat. Am Vortag habe er in Berlin Nicolas Cage getroffen und in die Sendung eingeladen, erzählte er zu Beginn – um den Hollywoodschauspieler gleich darauf wieder auszuladen. Warum, hat man nicht so ganz verstanden. Die wahrscheinlichste Antwort: weil er es kann. Seine substanzarme Analyse der gescheiterten Ehe von Heidi Klum und Seal (zwei Promis in einer Beziehung geht nicht) garnierte Gottschalk mit der Bemerkung, dass er ja schon mehrfach bei den beiden zu Hause gewesen sei und Seal ihn bis zuletzt mit „Herr Gottschalk“ angeredet habe. Puh, kann ihm bitte mal jemand sagen, wie unsympathisch diese Selbstbeschwipstheit rüberkommt, dieses „Ich bin ein Star – guckt mal hier rauf“?! Von Understatement, geschweige denn Demut keine Spur.

Der zweite Grund, aus dem man mit dem neuen Format, einer Mischung aus „MTV Home“, „Prominent“ und dem „Wort zum Sonntag“, in der ersten Sendung nicht so recht warm wurde, ist, dass „Gottschalk Live“ andauernd von …

W E R B U N G

… unterbrochen wurde: Kaum hatte Michael Bully Herbig, der erste Gast im Loft, zur Antwort auf eine soeben eingeblendete Zuschauerfrage angesetzt – „Gottschalk Live“ gibt sich mit eigener Social-Media-Redakteurin im Studio interaktiv, wovon dann aber außer dieser einen Frage wenig zu merken war –, fiel Herbig die Erkennungsmelodie ins Wort. Da half es auch nichts, dass man in zwei von drei (überwiegend zugegeben kurzen) Werbeblöcken dank Splitscreen weiter ins Studio gucken konnte. Wer bitte hat sich das ausgedacht?! Und warum?!! Wie wäre es mit einem kompakten Werbeblock und dem Wetter erst im Anschluss an „Gottschalk Live“ gewesen statt hinten an den längsten Werbeblock drangeklatscht? Mehr Umschaltanreize kann man dem Zuschauer nur mit seeehr viel Fantasie bieten.

Atemlos

Und dann litt die Premiere von „Gottschalk Live“ unter der Anspannung des Moderators, der einst die Lockerheit ins deutsche Fernsehen gebracht hat. Ohne Atempause für sich und die Zuschauer hetzte er durch die halbstündige Sendung – ein Eindruck, der durch die Werbeunterbrechungen noch verstärkt wurde. „Äußerst temporeich“, euphemisierte ARD-Programmdirektor Volker Herres in der Jubelpressemeldung – 4,34 Millionen Zuschauer (14,6 Prozent Marktanteil) hatten vor der „Tagesschau“ nichts Besseres vor.

Zerrissen zwischen Hybris und Muffensausen bat Thomas Gottschalk am Montag die Bild-Leserschaft: „Sie dürfen alles – nur eines nicht: mich gleich beim ersten Mal fressen! Geben Sie mir eine Chance.“ Die Geduld der Zuschauer dürfte größer sein als die der Fernsehkritiker (bei aller grundsätzlichen Sympathie für das Wagnis, das Gottschalk mit dem neuartigen Format noch einmal eingegangen ist!), aber auch die ist endlich. „Eine halbe Stunde zum Durchatmen“ hat Gottschalk im Vorfeld versprochen – genau das wollen die Zuschauer nach Feierabend, genau das hat Gottschalk bei der Premiere nicht eingelöst.

Als Vollprofi wird Gottschalk am Ende der Sendung gewusst haben, dass er es besser kann. „Ich brauche jeden Zuschauer“, bettelte er in die Kamera, notdürftig von Ironie ummantelt. Welch bizarres Finale: Die Sendung, die er als der Größte begonnen hat, beendete er auf dem Studioflokati kniend. Das ist nicht der Fall des Thomas Gottschalk, aber man riecht die Angst vorm Scheitern. Durch die Mattscheibe hindurch.