Tod durch Sozialhilfeentzug?

Kranke, die später verhungerte, wurde Stütze eingefroren. Amt wollte Frau zwingen, sich bei Betreuerin zu melden. SPD wirft Sozialbehörde jetzt Mitverantwortung vor

Als kurz nach dem Hungertod der siebenjährigen Jessica aus Jenfeld bekannt wurde, dass am 1. Dezember 2004 bereits eine psychisch kranke Frau in einem Farmsener Hochhaus verhungert aufgefunden worden war, warf SPD-Fraktionschef Michael Neumann CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram vor, sie habe „ihre Behörde nicht im Griff“. Die Senatorin wiederum ließ erklären, ihre Behörde habe mit dem Fall „nichts zu tun“, denn psychisch Kranke würden durch das Amtsgericht betreut.

Der SPD-Sozialexperte Dirk Kienscherf stellte daraufhin eine kleine Anfrage an den CDU-Senat, um der Sache auf den Grund zu gehen. In der Antwort kommt nun zu Tage, dass die 40-Jährige seit dem 1. September, also drei Monate bevor ihre mumifizierte Leiche gefunden wurde, vom Sozialamt Wandsbek keine Sozialhilfe mehr ausgezahlt bekam. Denn die ihr vom Amtsgericht zugeteilte Betreuerin habe extra darum gebeten, mit der Auszahlung zu warten, bis der Kontakt wieder hergestellt sei. Laut Senatsantwort bemühte sich die Sozialarbeiterin seit Juli, ihre Klientin zu erreichen, da eine Gerichtsgutachterin klären sollte, ob die seit 1999 verfügte Betreuung noch nötig war. Als die an Schizophrenie erkrankte Frau dann am 13. August im Sozialamt erschien, habe man sie „eindringlich gebeten“, sich bei ihrer Betreuerin zu melden, um die „Fortzahlung der Sozialhilfe über den 31. August hinaus sicherzustellen“.

Was aber nicht geschah. Das Sozialamt nahm am 11. November wieder Kontakt zur Betreuerin auf, um zu fragen, ob das Geld gezahlt werden solle. Ob die Frau da noch lebte, ist nicht klar, da der Senat keinen Todeszeitpunkt nennen kann. Eine Woche später erstattete die Betreuerin Vermisstenanzeige, was zum Leichenfund führte. „Es gab hier also ein Zusammenspiel zwischen Betreuerin und Sozialdienststelle“, schlussfolgert Kienscherf, der nun in einer neuen Anfrage klären will, ob häufiger psychisch Kranken Sozialhilfe gesperrt wird. Ferner wundert ihn, dass der Todeszeitpunkt unbekannt sein soll, was kriminaltechnisch ermittelbar wäre.

Für Kienscherf steht zudem fest, dass Schnieber-Jastram die Verantwortung trägt. So unterstehen die Sozialämter ihrer Fachaufsicht, außerdem wählt ihre Behörde die Betreuer aus.

Die Behörde selbst erklärte gestern, Kienscherfs Vorwürfe seien „unverständlich“. Auf die Frage nach Konsequenzen hieß es dort lediglich, es werde geprüft, ob „Zweifel“ an der Eignung der Betreuerin begründet seien. Kaija Kutter