Ebbe in der Kasse der Bewegung

Seit über 25 Jahren unterstützt der Förderfonds Netzwerk linke Projekte. Doch die Mitgliederzahlen sinken und mit ihnen die verteilbaren Fördergelder: Dem Verein droht die Bedeutungslosigkeit

VON OLIVER VOSS

Die Liste der Gründungsmitglieder des Netzwerk Selbsthilfe e. V. liest sich wie ein linksintellektuelles Who’s who der 70er-Jahre: Rudi Dutschke, Otto Schily, Hans Magnus Enzensberger, Günter Wallraff sind nur einige der bekanntesten Namen. Der Verein wurde 1978 gegründet, um von Berufsverboten Betroffene finanziell zu unterstützen. Als die Verbote aufgehoben wurden, wandelte sich das Netzwerk in einen politischen Fördertopf für Projekte der linken Szene. 4.000 Mitglieder gab es nach einem Jahr. Aus ihren Beiträgen wurden in den Anfangsjahren Summen bis zu einer halben Million Mark verteilt. Die „Kasse der Bewegung“, wie sie damals genannt wurde, half bei der Anschubfinanzierung der Ufa-Fabrik und der Berliner Kabarett Anstalt (BKA), bürgte für den Kredit des ersten taz-Computers und bewahrte das SO 36 vor dem Aus.

Solche Engagements sind heute undenkbar: Der Verein schrumpft seit 15 Jahren. Die Mitgliederstatistik hat man schon lange von der Wand abgehängt, der Anblick war zu traurig. „Wir haben jetzt 550 Mitglieder und eine Fördersumme von etwa 30.000 Euro im Jahr“, sagt Andreas Nowak, der sich im Büro um die Beratung und Betreuung von Projekten kümmert. Der aktuelle Förderschwerpunkt heißt „Die soziale Frage stellen“, eines der unterstützten Projekte ist die Absageagentur (siehe Text unten). „Im Gegensatz zu anderen Anti-Hartz-Protesten ist das mal keine Demonstration oder Infobroschüre“, sagt Nowak. Der innovative Charakter war ausschlaggebend dafür, 620 Euro für Druckkosten und Porto zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus förderten die Netzwerker in letzter Zeit das Anti-Hartz-Bündnis, die Erwerbsloseninitiative Piquetero, Betroffenenversammlungen von 1-Euro-Jobbern und die Initiative „Anders Arbeiten – oder gar nicht“.

Dabei spüren die Netzwerker selbst die Auswirkungen von Hartz IV, sagt Nowak. „Seit dem vergangenen Jahr sind verstärkt Mitglieder ausgetreten, weil sie nicht mehr so viel zahlen können.“ Unabhängig davon gab es für den Förderschwerpunkt zu wenig Anträge – obwohl allgemein die Gelder für kulturelle und politische Projekte immer knapper werden. Der Verein verliert an Bekanntheit.

Die Ursachen für die fortschreitende Krise des Netzwerks Selbsthilfe sind vielfältig, angefangen beim Namen, der heute mehr nach Anonymen Alkoholikern klingt als nach einem politischen Förderverein. „Viele Projekte, die wir mit auf den Weg gebracht haben, sind jetzt etabliert, doch wir sind ein kleiner Verein geblieben“, sagt Ralf Baumbach, der vor zehn Jahren zum Netzwerk gestoßen ist und seit 2000 im Beirat sitzt. „Wir wünschen uns manchmal, dass mehr von den geförderten Projekten zurückkommt.“

Viele Alt-68er, die sich vom Netzwerk abgewendet haben, bemängelten, dass man nicht mehr so große Projekte wie die Ökobank fördere, sondern sich nur noch den „Schmuddelkindern der Politik“ widme. „Doch hier war immer wichtig, dass man bei der Basis bleibt. Deshalb sind wir auch so klein geblieben“, erklärt Baumbach. Zudem musste eine Obergrenze bei der Förderung eingeführt werden, weil das Budget immer weiter schmolz. Das Netzwerk steckt so in einem Teufelskreis: Weniger Mitglieder bedeuten weniger Fördermittel, was sich wiederum negativ auf die Attraktivität auswirkt. „Der Zusammenhalt der Bewegung, den es bei der Gründung des Netzwerks gab, ist nicht mehr da“, sagt Baumbach, „doch wir sind nur ein Spiegel der Veränderungen in der Stadt.“

Was Netzwerk am Anfang ausgezeichnet habe, sei zum Teil aber gar nicht mehr nötig: Die Szene ist professioneller und hat andere Fördermöglichkeiten. „Viele Projekte können mittlerweile zur Bank gehen, wenn sie einen Businessplan aufstellen“, sagt Andreas Nowak. Darüber hinaus gibt es EU-Gelder und neue Institutionen wie die Stiftung Umverteilen oder die Bewegungsstiftung. Auch beim Netzwerk hat man über die Gründung einer Stiftung nachgedacht, sich aber dagegen entschieden. Es entsprach nicht den ökonomischen Vorstellungen, Geld in einer Bank anzulegen, sondern es sollte fließen. Nicht umsonst hat das Netzwerk auch die Entstehung von Tauschringen maßgeblich beeinflusst.

Trotz der Probleme machen die Netzwerker weiter. Andreas Nowak motiviert sich damit, dass es die Existenznöte auch schon in den 80er-Jahren gab. „Wenn wir irgendwann so wenige sind, dass die Arbeit keinen Sinn mehr macht, ist es auch nicht mehr gewollt“, meint Ralf Baumbach. Doch allein die geförderten Projekte der vergangenen Jahren zeigten, dass das Netzwerk noch immer gebraucht wird: das Umbruch-Bildarchiv, die Initiative Berliner Bankenskandal, das Kulturschock Festival oder die Kampagne gegen das Köpenicker NPD-Schulungszentrum.

Oft hat Netzwerk dabei neue politische Aktionsformen gefördert, wie die Internetdemonstration gegen die Beteiligung der Lufthansa an Abschiebungen, das Berliner Indymedia-Kollektiv oder nun die Absageagentur. Ohne diese Unterstützung wäre die politische Landschaft um einiges ärmer.

www.netzwerk-selbsthilfe.de