In Kisten versteckt

TOP SECRET Dem Vorhersehbaren entkommen: Das gelingt dem bulgarischen Künstler Nedko Solakov in Darmstadt mit Witz

VON HORTENSE PISANO

„The bad News: He was dead. The good News: The Flower on his Grave will last forever.“ In Moskau begann Nedko Solakov 1998 mit seiner „Good News, Bad News“-Serie. Jene mit schwarzen Edding auf die Steinböden einer Kunsthalle oder Galerie geschriebenen aberwitzigen Geschichten, deren Schrift lesbar wird, sobald man sich über ein angeleuchtetes Spielzeug beugt. In den Storys manifestiert sich Solakovs Vorliebe fürs Absurde, sein hintersinniges Spiel mit dem Betrachter. Auf der Mathildenhöhe Darmstadt hätten die „Good News, Bad News“ den ersten Raum der Ausstellung „Emotions“ in ein Meer aus Spotlights verwandeln sollen. Doch als der Künstler auf der Mathildenhöhe eintraf, entschied er sich um.

Der bulgarische Künstler Nedko Solakov war die große Entdeckung der documenta 12 in Kassel 2007. Nach den ersten beiden Stationen seiner Retrospektive in Bonn und St. Gallen ließ er die Transportkisten in Darmstadt provokant verschlossen. Keine leichte Entscheidung sei das gewesen, beteuert er den Journalisten. Am Tag zuvor war die „Emotions“-Schau abgesagt worden. Auf die schlechte Nachricht folgte in der Pressemitteilung prompt die gute, Solakov habe „eine komplett neue Installation geschaffen, die bislang größte. Der Ausstellungstitel wurde erweitert und lautet nun „Emotions (without masks)“. Sein jetziges Arrangement geht allerdings deutlich auf Distanz zu den von der Kunsthalle angekündigten Superlativen. Dort, wo im langgestreckten Saal in Dottergelb das große Wandbild „The Yellow Blob Story“ geplant war, klafft wie eine Leerstelle die weiße Wand. In einer Ecke stapeln sich Kartons. Hatte Solakov im interaktiven Teil seiner „Emotions“-Schau noch an den Betrachter appelliert, er möge die Kartons zerreißen, um Aggressionen loszuwerden, ordnet man die Verpackung jetzt dem Wirrwarr einer Ab- oder Aufbau-Situation zu.

Der Eindruck, hinter die Kulissen der Kunsthalle zu blicken, verstärkt sich durch einen im Raum abgestellten Kran. Auf einem Tisch liegen weiße Schutzhandschuhe, die vermutlich zur Hängung der märchenhaften Tuscheserie „… and they lived happily ever after“ dienten. Die Zeichnungen bezeugen ebenso wie jene für die documenta 12, „Fears“, das zeichnerische Können des fantasievollen Geschichtenerzählers und studierten Wandmalers. So ganz wollte dieser dann wohl doch nicht auf seine bekannten Zeichnungen verzichten.

Kobolde überall

Solakov schickt seine ahnungslosen Besucher keineswegs in eine komplett weiße Leere. Es scheint vielmehr, als habe er die kleinen Männchen aus seiner „Fears“-Serie vom Blattgrund lösen wollen. Denn in den abgedunkelten Räumen tauchen die Figuren in allen Ecken wieder auf. Die Kobolde sitzen hinter einer Stellwand, bevölkern die Wände und verwaisten Vitrinen der zuvor gezeigten Ausstellung „Masken. Metamorphosen des Gesichts von Rodin bis Picasso“.

Man findet Solakovs Zeichnungen überall dort, wo die verbliebene Architektur ihre Schatten wirft. So wird der Schattenwurf einer leeren Vitrine zu einem Art Rahmen für Solakovs kleine Interventionen: Ameisengleich kriechen seine Strichmännchen an der Schattenkante einer Vitrine etwa hinauf, um darauf hinab ins Nichts zu fallen.

Damit gelingt es Solakov, die spektakelartige Inszenierung der vorausgegangenen Präsentation ins Groteske zu steigern. Oft fühlt man sich auch an die albtraumhaften Obsessionen Odilon Redons erinnert, wenn Solakov die Schatten zweier Nagelköpfe diesmal in einer Vitrine zu winzigen Spinnenkörper umzeichnet. Die Illustrationen versieht er in gewohnter Manier mit bissigen Kommentaren: „A couple trying to survive“ steht unter zwei turnenden Strichmännchen, die am Schatten zweier Nägel hängen.

Gerade in Anbetracht der Vitrinen, in denen nur mehr die Nägel von den kunstvollen Theater- und Totenmasken zeugen, kommt eine unheimliche Stimmung auf, die Rupert Julians Stummfilm „Das Phantom der Oper“ von 1930 wie auch bedeutungsschwangere Wandtexte zusätzlich betonen. Dass Nedko Solakov seine früheren Videos, Installationen und Readymades für die Dauer der Ausstellung in den Transportkisten belässt beziehungsweise die Wandbilder nicht rekonstruiert, erweist sich als kluge Taktik. So bewahrt ihn die sparsame Konzept-Arbeit vor der Wiederholung der Wiederholung und damit vor einer allzu großen Anpassung an die Erwartungen des Kunstbetriebs.

Seiner Zeichenserie „… and they lived happily …“ nach zu urteilen, fürchtet der in Sofia lebende Künstler ohnehin nichts mehr als die Langeweile, den Stillstand. Ob sich seine Arbeiten wirklich in den Transportkisten befinden, das zu glauben bleibt den Besuchern überlassen. Das Spiel mit dem Verhüllen und das scheinbare Aufdecken einer wahren Begebenheit war schon Teil der Arbeit „Top Secret“ (1989/1990). Auf Karteikarten hatte Solakov seine Zusammenarbeit mit der bulgarischen Geheimpolizei nachgezeichnet. Der legendäre Karteikasten ist in Darmstadt zu sehen, aber auch er bleibt diesmal verschlossen.

■ Bis 1. November, Mathildenhöhe Darmstadt, Katalog (Hatje Cantz) 30 €